»Man muss schon erkennbar weiß sein«

Kulturkampf am Rand der Techno-Szene: Wird der »Gabber«-Stil zum Sound einer neuen Generation von Rechtsradikalen?

  • Thomas Ratzke und Peer Wiechmann
  • Lesedauer: 7 Min.
Die »Love Parade« und die szeneeigene Gegenveranstaltung »Fuck Parade« ziehen dieses Wochenende wieder Hunderttausende nach Berlin. Das verbreitete Bild von der unpolitischen, hedonistischen Party-Generation ist aber korrekturbedürftig. Der »Gabber«-Sound, der »härteste« Techno-Stil, ist politisch-kulturell umstritten. Seit einigen Jahren machen rechte Hegemoniebestrebungen in dieser Subszene der Techno-Kultur verstärkt von sich reden.
Rechte Tendenzen in der »Gabber«-Szene? Die Selbstbezeichnung »Gabber« lässt eigentlich nicht auf solche Orientierungen schließen. Sie stammt aus dem eher links kodierten Punk: Seit Ende der 70er Jahre geistert der Ausruf »Gabba Gabba hey« durch die abendländische Subkultur. In einem Refrain popularisierte die New Yorker Punk-Band »Ramones« 1976 den Begriff, der dem amerikanischen Slang entsprungen war und - ähnlich wie die trotzige Selbstbezeichnung »Punk« - »Miststück« oder »Abfall« bedeutet. Die ersten Punks waren frustrierte Mittelklassekids, die eine sinnentleerte bürgerliche Welt mit ihrem hämischen Grinsen in den Untergang begleiten wollten. Durch ihren anfangs ganz bewusst »verlotterten« Kleidungsstil hielten die Punks in einer Art symbolischen Rebellion der bürgerlichen Gesellschaft den Spiegel vor; ihr Musikstil reduzierte mit seinen kurzen, abgehackten Phrasen die damals populäre Rockmusik auf ein radikales Minimum.

Gabba ist der Punk des Techno
25 Jahre später tauchte die Selbstbezeichnung »Gabba« oder auch »Gabber« in neuem Gewand auf, diesmal am Rand des zum Mainstream gewordenen Techno. In den Niederlanden entwickelte sich zuerst ein extrem schneller elektronischer Sound, der - ähnlich wie der Punk den Rockn Roll - den radiotauglichen Techno auf seine Grundstruktur reduzierte und dabei radikalisierte.
Die Wurzeln dessen liegen in der niederländischen Hafenstadt Rotterdam. Hier legte der DJ Paul Elstak das erste Mal Gabber in dunklen, von Stroboskoplicht zerhackten Kellern auf. Unter dem Namen »Euromasters« brachte er die Gabber-Welle 1991 mit seinem Hit »Amsterdam Waar Lech Dat Dann« ins Rollen. Elstaks rasend schnelle, verzerrte Bass-Linien, fanden schnell begeisterte Nachahmer in den holländischen Großstädten. Gabber verließ zwischenzeitlich den Underground. Bereits Anfang 1992 war Gabber zu einem Massenphänomen geworden, und Partys wie das legendäre »Nightmares in Rotterdam« wurden von weit über 20000 Fans besucht.
Von Anfang an wies die Gabber-Szene allerdings eine Besonderheit auf. Untypisch für einen Techno-Stil prägten die niederländischen Hooligans die Szene. Diese Verbindung wird am Dresscode deutlich: Insbesondere die männlichen »Gabbers« tragen bis heute ein recht stereotypes Outfit mit Glatze, Bomberjacke und Sportschuhen der Marke Nike. Auffällig gering sind die Berührungsängste mit in der rechten Szene beliebten Marken wie »Pit Bull«.

»Powerstation Holocaust«
Das Kokettieren mit rechter Symbolik zeigen auch die Künstlernamen, die sich einige der bekannten DJs der ersten Stunde gaben: »DJ Skinhead« zum Beispiel oder »DJ Hooligan«. Es entstand eine Szene, die sich selbst als gewaltbereit begriff, ohne dabei explizite politische Standpunkte zu vertreten. Eine Art unpolitische Härte einte die Anhänger der schnellen Beats. Songtitel wie »Extreme Terror« spiegeln dies wieder. Genügend Anknüpfungspunkte für Rechte also - ganz ähnlich wie im Fall des Punk, dessen rabiater Gitarrensound und offensiver Außenseiter-Habitus seit der zweiten Hälfte der 80er von Nazi-Musikern adaptiert wurde.
Die antisemitisch geprägte Feindschaft der Anhänger des holländischen Fußball-Klubs Feyenoord Rotterdam gegen den jüdischen Traditionsklub Ajax Amsterdam übertrug sich auf die Gabber-Szene. Die ersten Songs mit rechtsextremen Aussagen kursierten schnell im Internet und fanden auch ihren Weg auf die Partys. Stücke wie »Powerstation Holocaust« oder »Das tausendjährige Reich« haben ihren festen Platz in den internen Charts der rechten Gabbers gefunden. Der Gabber-DJ »Whipo« steht mit seinem Kürzel für »White Power«, knüpft also an die Selbstbezeichnung der US-amerikanischer Nazis an. Die niederländische Gruppe »ADR 88« ist in der rechtsextremen wie auch in der Gabber-Szene bekannt. ADR bedeutet »Aryan Dance Resistance«, also »arischer Tanz-Widerstand«. Die Zahl 88 wird in der rechten Subkultur als Synonym für »Heil Hitler« verwandt. Bevorzugt mixen ADR 88 Reden von Adolf Hitler oder »Sieg Heil«-Rufe unter ihre Stücke.
Der Sozialarbeiter Ludger Kortendieck, Leiter einer Infostelle Rechtsextremismus im Ruhrgebiet, arbeitet viel mit Jugendlichen aus der stetig wachsenden rechten Gabber-Szene. Er geht davon aus, dass niederländische Gabbers zum Teil der organisierten Rechten angehören: »Gerüchten zufolge soll es aus diesem Umfeld heraus wiederholt zu Übergriffen auf ausländische Jugendliche gekommen sein.« In Deutschland ist besonders die Szene in Nordrhein-Westfalen auf Grund ihrer Nähe zu den Niederlanden als rechtsorientiert in Verruf geraten.
Norbert Weidner, ehemaliger Funktionär der verbotenen »Freiheitlichen Arbeiterpartei« (FAP) hat sich inzwischen aus der organisierten rechten Szene zurückgezogen. Die Gabber-Szene im Ruhrgebiet, sagt er rückblickend, bestehe »aus ehemaligen Hooligans, oftmals ehemaligen Skinheads«. Gewalt gehöre in dieser Szene zum Tagesgeschäft. Auch die Bochumer Antifa beobachtet schon seit geraumer Zeit die Treffen rechter Hooligans, Skinheads und Gabbers im Bahnhofsviertel der Stadt.

Toleranz für Rechtsextreme?
Heute kann man von einem Revival der Gabber-Szene ausgehen. Eines der größten deutschsprachigen Web-Portale in Sachen Gabber zählte derzeit fast 100000 Zugriffe pro Monat. Man kann von rund 15000 bis 20000 Kids ausgehen, die den harten elektronischen Sound allein in Deutschland hören. Während die Hochburg der rechtsextremen Gabber-Szene im Ruhrgebiet liegt, gelten die Berliner Gabbers als eher linkslastig. Die »Fuck-« bzw. »Hate-Parade«, seit 1997 die Gegenveranstaltung zur Love Parade, hat sich schon immer den radikalen Techno-Musik-Stilen gewidmet. So war der kleinere Berliner Techno-Umzug anfangs vorrangig von Gabber-DJs besetzt und bezog eindeutig Stellung gegen rechts. Doch mittlerweile kommt es auch hier zu Auseinandersetzungen. So wurden bereits im Jahr 2000 Rechte auf der »Fuck Parade« gesichtet, die nach der Veranstaltung gezielt nicht-rechte Gabbers provozierten.
Die Gerüchteküche im unpolitischen Teil der Szene kocht derweil. Wie weit gehen die rechtsextremen Tendenzen? Fakt ist: Wer dem Dresscode auf einschlägigen rechten Partys nicht entspricht, kann von Glück sagen, nur mit verbalen Attacken bedacht zu werden. »Linke kriegen direkt was drauf, die kommen da überhaupt nicht rein«, schildert der Rechtsextremismusexperte Kortendieck seine Erfahrungen aus NRW. Der Ausländeranteil auf diesen Partys sei gleich Null. »Sie hätten dort auch schlechte Karten«, sagt Kortendieck, »das wissen hier die türkischen Jugendlichen, die gehen nicht zu einer Gabber-Party. Man muss schon erkennbar weiß sein, nach den Kriterien der Rechten.«
Die altgedienten Kameraden der etablierten rechtsextremen Parteien treffen trotzdem noch nicht den richtigen Ton, um die rechten Gabbers dauerhaft integrieren zu können. Denn diese zelebrieren eine neue Form rechts-jugendlichen Daseins. Sie fügen sich nicht in die engen ritualisierten und organisierten Strukturen rechtsextremer Parteien oder Kameradschaften ein. Allein die Freizügigkeit der Party-Kultur ist nicht umstandslos mit der harten rechten Szene zu vereinbaren. Schon die wilden Tänze - das »Hacken« - mögen vielen Neonazis recht undeutsch vorkommen. Auch das Frauenbild der Gabber-Szene unterscheidet sich deutlich von dem, was in der politisch organisierten rechten Szene üblich ist.
Die aber weitaus wichtigste Differenz zwischen den rechten Gabbers und den organisierten Rechten nennt Ex-FAPler Weidner: Drogenkonsum. Während viele Rechte - abgesehen von Alkohol und Zigaretten - Abstinenz predigen, sei der Drogengebrauch unter den rechten Gabbers ein probates Mittel, sich »extrem zu machen«, Ansehen in der Szene zu gewinnen. Nirgendwo wird so prahlerisch über Drogenerfahrungen berichtet wie auf den Internet-Seiten der Gabber-Gemeinschaft.
Rechte Gabbers proklamieren inzwischen ihre Musik mitunter als »Ausdruck der Lebensweise des deutschen Volkes«, so eine - mittlerweile gelöschte - Aussage im Diskussionsforum von www.gabber.de. Und gerade die Vielfalt der Techno-Kultur mit ihrer Tendenz, unzählige Sub-Subkulturen auszuprägen, führt dazu, dass neu aufkommende rechtsorientierte Phänomene in der Szene von vielen wenig ernst genommen werden. Dabei ist die Tendenz eigentlich kaum zu übersehen. »Dass Gabber von Rechten oder Rechtsradikalen mitgeprägt wird, ist kein Geheimnis. Ich weiß auch nicht, wo man da ansetzen kann«, zeigt sich Star-DJ Monika Kruse ratlos. Kruse veranstaltet unter dem Motto »No historical backspin« bundesweit Techno-Events »gegen rechts«.
In der Szene selbst ist in jüngerer Zeit allerdings eine teilweise heftige Auseinandersetzung über ihr Selbstverständnis entbrannt. Die Diskussionsforen der einschlägigen Internet-Seiten sind einerseits voll von verbalen Attacken gegen Ausländer. Andererseits gibt es auch zahlreiche Gabbers, die auf Internet-Seiten deutlich machen, dass sie ihren Lebensstil für unpolitisch halten.
Die »unpolitische« Selbstdefinition ist allerdings nicht immer unproblematisch: Die seitenlangen Anfeindungen zwischen einem offensichtlich rechten »Ga88erman« und dem offenbar linken »Keke« in einschlägigen Chatrooms werden zwar für viele zum Aufhänger für Debatten über »Toleranz« - Toleranz aber auch gegenüber rechtsextremen Positionen.

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