Besucher warten lange vor den Toren

Fast 67 000 Häftlinge, aber nur knapp 46 000 Plätze in italienischen Gefängnissen

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 3 Min.
Die italienischen Gefängnisse sind hoffnungslos überfüllt. Wo eigentlich zwei Personen in einer Zelle leben sollten, sind es drei, vier oder mehr. Die hygienischen Verhältnisse sind dementsprechend und von »Wiedereingliederung in die Gesellschaft« kann keine Rede sein. Jetzt hat auch Staatspräsident Giorgio Napolitano die Politik aufgefordert, sich endlich dieses Problems anzunehmen.

In Italien gibt es 207 Gefängnisse, von denen viele in uralten Kerkern untergebracht sind, die dringend eine radikale Neugestaltung oder zumindest einige Umbaumaßnahmen erfordern würden. Es gibt zu wenig Duschen, zu wenig Arbeitsmöglichkeiten und zu wenig Räume, in denen man die Freizeit irgendwie sinnvoll gestalten kann. Besonders in den heißen Sommermonaten wird die Temperatur unerträglich, während man im Winter friert. Aber vor allem fehlt es an einem: An Platz. Denn die italienischen Gefängnisse sind überfüllt. Offiziell haben in den Strukturen 45 681 Personen Platz; tatsächlich sitzen heute dort aber 66 942 Menschen ein. Die Haftbedingungen werden dadurch immer dramatischer und die Hoffnungslosigkeit wächst. Auch das ist ein Grund dafür, dass die Zahl der Selbstmorde und der versuchten Selbsttötungen rasant zunimmt: Seit Anfang des Jahres haben sich bereits 38 Häftlinge das Leben genommen und über 600 haben es versucht.

Besonders dramatisch ist diese Situation natürlich für die Personen, für die erst noch bewiesen werden muss, ob sie überhaupt eine Straftat begangen haben. Und das sind extrem viele: Über 40 Prozent der Insassen der italienischen Gefängnisse sitzen in Untersuchungshaft. Für sie gibt es kaum gesonderte Häuser oder auch nur Zellen, und dieses erzwungene Zusammenleben mit eingefleischten Knackis führt immer wieder zu Dramen und Katastrophen.

Für einige Untersuchungshäftlinge dauert diese Situation nur einige Tage, aber oft werden daraus Wochen, Monate und manchmal sogar Jahre. Die italienische Justiz funktioniert schlecht und gerade wegen der langen Untersuchungshaft wurde das Land schon mehrmals von den europäischen Institutionen abgemahnt oder auch mit saftigen Strafen zur Kasse gebeten.

Die Liste der Mängel in Italiens Strafvollzugsanstalten ließe sich nahezu unendlich fortsetzen. In Palermo zum Beispiel, wo 550 Personen einsitzen (eigentlich gibt es aber nur 292 Plätze), haben die Behörden nur 20 Stunden im Monat für Psychologen genehmigt, die sich um die Häftlinge kümmern sollen. Außerdem steht ihnen nachmittags und in der Nacht nur ein einziger Arzt zur Verfügung. In Palermo müssen auch die Angehörigen der Insassen unnötigerweise leiden, wenn sie ihre Verwandten oder Freunde im Gefängnis besuchen wollen. Vor den Toren bilden sich an jedem Besuchstag endlose Schlangen und Alte, Frauen und auch Kinder müssen im Regen oder unter sengender Sonne manchmal stundenlang warten.

In dieser Situation hat sich jetzt auch Staatspräsident Giorgio Napolitano in einem dramatischen Appell an das Parlament gewandt: Er fordert, dieser Situation in den Gefängnissen, »die einem hochentwickelten und zivilen Land unwürdig ist und für die Italien sich schämen muss«, endlich ein Ende zu setzen.

Bisher ist dieser Appell allerdings verhallt, ohne dass die Regierung etwas unternommen hätte. Obwohl: Ganz so stimmt das nicht. Vor einigen Tagen hat Justizminister Francesco Nitto Palma das römische Gefängnis Regina Coeli besucht, das eigentlich für 700 Gefangene Platz hätte, in dem aber tatsächlich 1100 Häftlinge eingepfercht sind.

Die Gewerkschaft der Strafvollzugsbeamten, die sich seit Jahren für menschwürdigere Arbeits- und Haftbedingungen einsetzt, hat nach diesem »hohen Besuch« eine Erklärung veröffentlicht, in der es heißt: »Im Gefängnis wurde ein Großreinemachen angeordnet und überall mussten wir Teppiche drapieren und Blumen hinstellen. Dafür mussten wir Überstunden machen. Angesichts des chronischen Geldmangels der Gefängnisverwaltung wissen wir noch nicht einmal, ob und wann die uns jemals bezahlt werden.«

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