Russland reserviert gegenüber Rebellen

Medwedjew: Aufständische müssen ihre politischen Fähigkeiten erst beweisen

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 4 Min.
Libyens Rebellen müssten erst beweisen, dass sie das Land auf demokratischer Grundlage vereinen können, sagte Russlands Präsident Dmitri Medwedjew am Mittwoch. Erst in solchem Falle werde sein Land Beziehungen zu ihnen aufnehmen.

»Wir wollen, dass die Konfliktseiten sich so schnell wie möglich an den Verhandlungstisch setzen und eine Vereinbarung über die Zukunft Libyens erreichen«, sagte Medwedjew nach Angaben der Nachrichtenagentur RIA Nowosti am Rande seines Treffens mit dem nordkoreanischen Staatschef Kim Jong Il in der Nähe der burjatischen Hauptstadt Ulan-Ude. Russland hoffe, dass Libyen ein einheitlicher souveräner Staat bleibe, der enge Kontakte zu anderen Ländern pflege.

Gerade daran aber waren in den vergangenen Tagen Zweifel aufgetaucht. Zwar gab sich Medwedjews Afrika-Sonderbeauftragter Michael Margelow am Montag noch zuversichtlich: Die Rebellen würden alle Verträge zwischen Libyen und Russland einhalten. Doch dann meldete sich Abdeldschalil Mayouf zu Wort, Sprecher der libyschen Arabian Gulf Oil Company (AGOC), die den Rebellen untersteht: »Wir haben kein Problem mit westlichen Ländern, mit italienischen, französischen und britischen Unternehmen, aber wir könnten ein paar politische Streitfragen mit Russland, China und Brasilien haben.« Das wurde als Signal für eine Absage an eine Wirtschaftskooperation mit jenen Staaten verstanden, die harte Sanktionen gegen Gaddafi zu lange abgelehnt hatten und sich immer wieder für Verhandlungslösungen aussprachen. Dabei hatte doch die Stimmenthaltung Russlands und Chinas bei der Verabschiedung der Resolution 1973 im UN-Sicherheitsrat den Weg für NATO-Luftangriffe gegen die militärische (und zivile) Infrastruktur des Gaddafi-Regimes erst frei gemacht. Jedenfalls klagte Aram Schegunz, Chef des russisch-libyschen Wirtschaftsrates, gegenüber Reuters zu Wochenbeginn: »Wir haben Libyen endgültig verloren ... Wir werden kein grünes Licht mehr bekommen. Wer das Gegenteil glaubt, der irrt sich.«

Zu verlieren hätte Russland tatsächlich einiges. Wladimir Putin, Medwedjews Vorgänger im Amt des Präsidenten, hatte bei seinem Libyen-Besuch im Frühjahr 2008 mit Staatschef Muammar al-Gaddafi umfangreiche Beteiligungen russischer Unternehmen an der Erschließung und Ausbeutung libyscher Öl- und Gasvorkommen sowie den Bau einer Eisenbahnstrecke ausgehandelt. Die russischen Energiegiganten Gazprom, Gazpromneft und Tatneft hatten hunderte Millionen US-Dollar in die Öl- und Gasproduktion in Libyen investiert.

Noch einige Tage vor Beginn der Rebellion in Libyen hatten beide Staaten zudem einen Vertrag über die Lieferung russischer Anti-Schiffsraketen vom Typ Bal im Wert von 600 Millionen Euro und von sechs Schulflugzeugen des Typs Jak-130 abgeschlossen. Beide Abkommen wurden inzwischen ausgesetzt. Den Schaden für Russland bezifferte Anatoli Isajkin, Direktor des staatlichen Rüstungskonzerns Rosoboronexport, auf der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung MAKS 2011, die am Sonntag in Moskau zu Ende ging, auf fast vier Milliarden US-Dollar. Bis jetzt reagiert das offizielle Moskau jedoch gelassen, wie Medwedjews jüngste Äußerung erkennen lässt. Zwar sind sich Politiker und Experten weitgehend einig, dass Gaddafis letztes Stündlein geschlagen hat, doch bisher war er für Russland trotz aller Kritik an Menschenrechtsverletzungen die einzig legitime Macht. Am Mittwoch sprach Medwedjew davon, dass in Libyen derzeit eine Doppelherrschaft festzustellen sei. Gaddafi und seine Anhänger hätten immer noch gewissen Einfluss und gewisses Militärpotenzial.

An den Rebellen irritiert, dass sie noch kein schlüssiges Programm vorgelegt haben. Überhaupt gebe es über ihre Ziele und die reale Machtverteilung – vor allem, was Anteil und Einfluss radikaler Islamisten betrifft – keine verlässlichen Angaben, warnte der Libyen-Experte Anatoli Rjassow. Der Westen dichte Gaddafis Gegnern das gleiche Demokratiepotenzial an wie den von den USA gestützten Regimen in Afghanistan und Irak und drohe daher in Libyen in dieselben Fallen zu tappen wie dort. Dazu kommt aus Rjassows Sicht, dass Libyen nach wie vor eine Stammesgesellschaft ist, an Gaddafis pseudo-egalitärer Ideologie kämen daher auch dessen Nachfolger nicht vorbei. Allein daran schon könnten Reformen scheitern.

Rjassows Kollegen Andrej Ostalski treiben ähnliche Befürchtungen um. Außerdem glaubt er, das Zerwürfnis der sehr heterogenen Regimegegner sei, sobald das gemeinsame Feindbild – Gaddafi – fehlt, eine bloße Zeitfrage. Haarrisse, sagte er bei »Radio Liberty«, wären schon jetzt erkennbar. Fraglich sei vor allem, ob alle Feldkommandeure den ersten, sehr liberalen Entwurf einer neuen Verfassung unterstützen. Zerstreiten sich indes die Rebellen, droht seiner Meinung nach ein Bürgerkrieg, in dem die Fronten kreuz und quer verlaufen wie in Somalia: Gaddafi hatte kurz vor dem Angriff der Rebellen auf die Hauptstadt Tripolis massenhaft Waffen an die Bevölkerung ausgegeben.

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