Regensburger Sonderformat

Eine Stadt begegnet ihrer Geschichte mit Anti-Erinnerungspolitik

  • Hans Canjé
  • Lesedauer: 5 Min.
Regensburger Lokalpolitiker geben sich entsetzt: Da wurden doch anlässlich eines Sportereignisses am 13. August mobile Toilettenhäuschen mit dem fröhlichen Gruß »Toi-Toi« direkt auf das Gelände gesetzt, auf dem sich ein Gedenkstein für die Opfer des Faschismus befindet. Eine »Entgleisung«, heißt es, und »eine bedauerliche Panne«, die nicht mehr vorkommen dürfe, weil sie der »Welterbestadt Regensburg ein schlechtes Zeugnis« ausstelle. Die »Mittelbayerische Zeitung« titelte: »Denkmal gedankenlos verunziert«.
Das Denkmal ist manchem ein Dorn im Auge.
Das Denkmal ist manchem ein Dorn im Auge.

Regensburger Bürger, die sich seit Jahren um das »Zeugnis der Welterbestadt« sorgen, wären zufrieden, wäre dieses zumindest als Instinktlosigkeit einzuordnende Vorkommnis das Einzige, was den Sprecher der Arbeitsgemeinschaft ehemaliges Konzentrationslager Flossenbürg, Hans Simon-Pelanda, von einem »Sonderformat der Anti-Erinnerungspolitik« sprechen lässt. Damit zielt er auf den von der Mehrheitspartei CSU und ihrer Klientel unverdrossen gepflegten Antikommunismus, der in Regensburg seit Jahren ein gemeinsames Gedenken an die Opfer des Faschismus blockiert.

Klammheimliches Gedenken

Seit fast 40 Jahren gibt es in der Stadt am 23. April einen Gedenkweg für diese Opfer und eine davon streng abgegrenzte Veranstaltung der CSU-regierten Stadtverwaltung und der katholischen Kirche. Die wollen beim Gedenkweg nicht mitmachen, weil zu diesem Bündnis auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes gehört. Die VVN-BdA stehe im Verfassungsschutzbericht des Landes und sei dort als »linksextremistisch« eingestuft, so die Begründung. Mit Kommunisten könne es kein gemeinsames Gedenken geben. Der Bannfluch gilt seit 40 Jahren und wird amtlich auch dann praktiziert, wenn etwa überlebende Zwangsarbeiter auf Einladung der VVN Regensburg besuchen und der Verwaltung vorgeschlagen wird, die Gäste zu begrüßen. VVN-Mitglieder sind dabei im Rathaus nicht erwünscht.

Der 23. April, das ist der Tag, an dem 1945 die rund 400 Häftlinge aus dem zu einem KZ-Außenlager umfunktionierten Wirthaus »Colosseum« im Stadtteil Stadtamhof, eines von 90 Nebenlagern des KZ Flossenbürg, zum Todesmarsch getrieben wurden. Die Lebensbedingungen und Todesrate dort waren verheerend, sagte Jörg Skriebeleit, Gedenkstättenleiter in Flossenbürg. Die hier im ehemaligen Tanzsaal auf engstem Raum untergebrachten Häftlinge mussten am Regensburger Güterbahnhof für die Reichsbahn Zwangsarbeit leisten, Bomben räumen, zerstörte Gleise und Waggons reparieren. In nicht einmal sechs Wochen kamen mindestens 65 Zwangsarbeiter ums Leben. Ganze 50 Häftlinge erlebten am 2. Mai 1945 nach einem fast 300 Kilometer langen Todesmarsch ihre Befreiung durch die Alliierten.

Schüler der kaufmännischen Berufsschule fanden im Schuljahr 1982/83 mit ihrem Lehrer Hans Simon-Pelanda im Stadtarchiv, versteckt zwischen Klosterakten, Unterlagen über das KZ-Außenlager. Den Preis des Bundespräsidenten für ihr Forschungsprojekt stifteten sie, samt einem Textvorschlag, der Stadt für eine Gedenktafel, die am »Colosseum« angebracht werden sollte. »Seitdem«, sagt Luise Gutmann, die Vorsitzende der Regensburger VVN-BdA, »hat Regensburg einen Haushaltstitel und ein Problem.«

Zu diesem Problem gehört, dass der CSU-Politiker Michael Durach 2005 das »Colosseum« kaufte, um es zu einer lukrativen »Wohnoase« umzugestalten. Dabei wurde, unbemerkt von der Öffentlichkeit, so ziemlich alles entfernt, was auch nur im geringsten an das KZ-Außenlager erinnern könnte. Der Senffabrikant Durach lehnte es nachdrücklich ab, die Gedenktafel anzubringen. Nach jahrelanger fruchtloser Debatte mit Durach beschloss der Kulturausschuss im September 2009, dass »entweder mit einzelnen Metallplatten oder einer größeren Bodenplatte im Bürgersteig der umgekommenen Opfer gedacht werden« sollte.

Seitdem befasste sich der Ausschuss nicht mehr damit. Irgendwann in diesem Jahr ist dann »heimlich, still und leise«, wie das »Regensburger Wochenblatt« am 16. August berichtete, die Gedenk-Bodenplatte vor dem »Colosseum« verlegt worden. Im Rückgebäude des ehemaligen Gasthauses, so ist auf der Platte, ohne weitere Details zu lesen, »waren in den letzten Wochen der nationalsozialistischen Diktatur vom 19. März bis zum 23. April 1945 Häftlinge des Konzentrationslagers Flossenbürg untergebracht. Vor dem Haus mussten die Häftlinge, durch Unterernährung und Demütigung geschwächt, zum Appell antreten.«

Eine »verharmlosende Unverschämtheit und ein Schlag ins Gesicht der Häftlinge« sei dieser Text, kommentierte das von dem Journalisten Stefan Aigner betriebene Internetblog »Regensburg Digital«. Hier gehe es um »Mord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit und nicht um die Dokumentation eines Freizeitarrestes«. »Wer waren die Häftlinge und warum mussten sie zum Appell antreten?«, wird gefragt und kritisch angemerkt, dass in dem »ungeheuerlich verharmlosenden« Text der Tafel die KZ-Außenstelle nicht benannt wird. Sowohl Margit Kunc (Grüne) als auch die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion Margot Neuner zeigten sich »überrascht« von der im Alleingang der Verwaltung und ohne Kenntnis der Volksvertreter vollzogenen Geheimaktion, die »Regensburg Digital« Anfang August unter der Überschrift »Verschämte Verlegung« öffentlich gemacht hatte. Darüber habe es nie eine Information des Kulturreferenten gegeben, so die beiden Abgeordneten,

Dieser Kulturreferent erklärte auf Nachfrage, die Platte gebe es seit dem 23. April. An diesem Tag aber, so Luise Gutmann von der VVN, waren 150 Menschen im Stadtteil Stadtamhof zum jährlichen Gedenkweg für die Opfer des Faschismus versammelt. »Politisch zu verorten von Linkspartei bis SPD, quer durch alle Religionsgemeinschaften, von Jüdischer Gemeinde bis zu den Zeugen Jehovas«, wie »Regensburg Digital« berichtete. Das »ideologisch von allem gefährlichen Unrat gesäuberte Gedenken« der Stadt habe eine Woche später stattgefunden. Hans Simon-Pelanda von der Arbeitsgemeinschaft ehemaliges KZ Flossenbürg hatte beim Gedenkweg im April noch an »unser mehr als zehn Jahre dauerndes Ringen um das ›Colosseum‹-Denkmal« erinnert und erneut das »unwürdige Schauspiel der getrennten Feiern« beklagt. Hinter vorgehaltener Hand heiße es, »man« möge sich einmal die Mitveranstalter genauer ansehen. Darunter seien Kommunisten. Pelanda: »Eine Schande, dass die Hatz schon wieder beginnt – oder noch nie geendet hat!«

Antifaschismus »nicht vermittelbar«

Unter Schande einzuordnen wäre wohl auch die skandalträchtige Aktion aus dem Umfeld des CSU-Oberbürgermeisters Hans Schadinger gegen die geforderte Streichung des Euthanasie-Befürworters Florian Seidl aus dem Straßenverzeichnis. Wenn das geschehen solle, so ein bestelltes Gutachten, müssten auch Straßen, die nach Martin Luther, Bertolt Brecht oder Kurt Tucholsky benannt sind, andere Namen erhalten.

Und dann wäre da zur Abrundung des Regensburger »Sonderformats« der Anti-Erinnerungspolitik noch über das Lehrerkollegium einer Grundschule zu sprechen. Das hatte im Vorfeld des diesjährigen Tages der Befreiung erklärt, die Geschichte des sozialdemokratischen Widerstandskämpfers und Altbürgermeisters Hans Weber sei nichts für Kinder dieser Schule, sein Leidensweg sei ihnen nicht zu vermitteln. Sie lehnten es dann auch ab, ihre Schule nach Hans Weber zu benennen. Weber hatte nach 1933 als Mitglied einer nordbayerischen Widerstandsgruppe unter Lebensgefahr für das im Prager Exil wirkende Auslandszentrum der SPD antifaschistische Materialien über die tschechische Grenze nach Deutschland transportiert. Simon-Pelandas Kommentar: »Nichts hat man von den nämlichen Pädagogen gehört, wenn es um die seit Jahrzehnten gültige Benennung einer Schule nach dem Nazibürgermeister Hans Hermann ging.«

Seit etlichen Jahren erinnern Antifaschisten an die Opfer der Regensburger KZ-Außenstelle.
Seit etlichen Jahren erinnern Antifaschisten an die Opfer der Regensburger KZ-Außenstelle.
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