Eine Sportart vor Gericht

Heute beginnt der Handball-Prozess gegen Schwenker und Serdarusic – die Liga ist nicht glücklich

  • Erik Eggers, Kiel
  • Lesedauer: 3 Min.
Angeklagt: Uwe Schwenker (o.) und Noka Serdarusic Fotos: dpa/Brandt
Angeklagt: Uwe Schwenker (o.) und Noka Serdarusic Fotos: dpa/Brandt

Es war ein Aufschrei. Vom größten Handball-Skandal aller Zeiten war im März 2009 die Rede, als die Vorwürfe um angeblich verschobene Spiele in der Champions League öffentlich wurden, von einer Glaubwürdigkeitskrise für die gesamte Sportart. Im Visier stand der THW Kiel: Der deutsche Rekordmeister wurde beschuldigt, das Finale 2007 gegen die SG Flensburg-Handewitt und andere Partien durch Schiedsrichterbestechung manipuliert zu haben. »Wenn das stimmt, wäre es eine große Katastrophe für alle, die mit dem Handball zu tun haben«, sagte Manfred Werner, der damalige Aufsichtsratschef der deutschen Handball-Bundesliga (HBL).

Heute beginnt nun vor dem Landgericht Kiel der Prozess. Angeklagt sind der damalige Kieler Geschäftsführer Uwe Schwenker und Ex-Trainer Noka Serdarusic, vorgeworfen wird ihnen Untreue und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (bzw. Beihilfe dazu). Eine Menge Zeugen werden in Saal 232 aussagen, um den Verbleib von rund 150 000 Euro zu klären, mit denen die Referees bestochen worden sein sollen. Alle Beteiligten bestreiten die Vorwürfe. Zur Überprüfung der Geschehnisse hat das Gericht satte 21 Prozesstage terminiert. Die Zeit der Aufklärung scheint endlich gekommen.

Jubel darüber ist in der Szene aber nicht zu vernehmen. Selbst diejenigen, die damals lauthals aufgeschrien und eine Bestrafung der mutmaßlichen Täter gefordert hatten, halten sich plötzlich seltsam zurück. Sie alle wissen inzwischen, dass es nicht nur um Schwenker und Serdarusic geht. In Wirklichkeit steht eine ganze Sportart vor Gericht. Sollten die Spiele verschoben worden sind, dann stehen automatisch auch jene Partien bei WM und EM unter Verdacht, die von den in Rede stehenden Referees geleitet wurden.

Zu den Leisetretern von heute zählt Andreas Rudolph, damals Präsident bei Hamburgs Handballern, dem größten Konkurrenten Kiels. In einer spektakulären Pressekonferenz hatte Rudolph im März 2009 »rückhaltlose Aufklärung« gefordert sowie den Rücktritt des HBL-Präsidenten Reiner Wittes, einem Freund Schwenkers. In den letzten Monaten klang das ganz anders. Nein, er freue sich überhaupt nicht auf den Prozess, murrte er. »Das ist viel zu lange her. Ich will Schaden vom deutschen Handball abwenden.«

Auch Dierk Schmäschke, Manager der SG Flensburg, sieht in dem Prozess eine Belastung für das Image der Sportart. »Das ist nicht gut für den deutschen Handball«, sagt er. Thorsten Storm, Manager der Rhein Neckar-Löwen, die den Skandal mit der Auflösung des Vertrages mit Noka Serdarusic erst ins Rollen gebracht hatten, begreift sich gar als distanzierter Beobachter. »Ich bin da Zuschauer wie jeder andere. Für mich ist die Sache beendet, seit Noka Serdarusic den Vertrag aufgelöst hat«, sagt Storm.

Dabei gehört Storm zu den wichtigsten Zeugen. Er soll am Tag des WM-Finales von 2009 den Löwen-Gesellschafter Jesper Nielsen darüber informiert haben, dass Serdarusic, inzwischen designierter Löwen-Coach, offensichtlich seine Kenntnisse von 2007 als Druckmittel gegen den THW einsetzen wolle, um die Profis Nikola Karabatic und Vid Kavticnik von Kiel nach Mannheim zu lotsen.

Die Zurückhaltung vieler Funktionäre folgt der eigenartigen Vorstellung, eine Aufklärung beschädige den Handball. Doch es gibt auch andere Stimmen. »Endlich wird das aufgeklärt. Egal, wie es ausgeht, kann man dann einen Schlussstrich darunter setzen«, sagt Dieter Matheis, Beiratsvorsitzender der Löwen. Und auch HBL-Geschäftsführer Frank Bohmann ist froh: »Ich begrüße das, hätte es aber noch besser gefunden, wenn das Verfahren noch schneller abgewickelt worden wäre.«

Die Europäische Handball-Föderation geht nach Analysen externer Experten davon aus, dass es 2007 keine Manipulationen von Schiedsrichtern gegeben hat. Sollte das Landgericht Kiel dies anders beurteilen und die Angeklagten schuldig sprechen, würde für viele eine Welt zusammenbrechen. Eine Welt, die davon ausgeht, dass die Sportler im Handball entscheiden.

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