Der Papst kommt heute. Gott ist immer schon da

Gott ist die Fiktion des nicht enttäuschbaren Menschen: Trost ist stärker als jede Tatsache

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.
Gott! Von Jean Effel gesehen.
Gott! Von Jean Effel gesehen.

Trost bleibt nötig – wo die härteste Wahrheit gilt: Vergänglichkeit. Es geht bei Religion nicht ums vermeintliche Leben im Jenseits, es geht um ein Diesseits, das nicht schon wahrgenommen werden muss als ein leidvolles Sterben, das mit dem Tod glücklich beendet würde – hier berührt sich Christsein sehr irdisch mit aller nur denkbaren Humanität. Mit einem Unterschied zum gehabten staatlichen Kommunismus. Sagt der Kommunist: Was dir gehört, gehört auch mir!, so sagt der Christ: Was mir gehört, gehört auch dir!

Gott ist nicht selbstverständlich – daran erinnern uns die Atheisten. Schrieb der Dichter Kurt Marti. Mancher Ungläubige rief erst auf dem letzten Bett (oder im Kriegsfrontgraben) die zwei Worte, nur diese zwei: Gott!, Mutter!

Gott geht als Herr aller Verfahren durch die Geschichte von Kunst und Geist. Weil wir mit einem Bewusstsein ausgestattet sind, das nicht tragen kann, was es auslöst. Noch Brechts Höllengier, in seinen frühen Psalmen, hat etwas so Lautes und Selbstbewusstes, weil es ein Bibbern übertönt ...


PETER SLOTERDIJK
Seit dreitausend Jahren leben die Avantgarden der Menschheit in dieser Situation: Dass sie Übergewaltiges sehen, und die Intelligenz zittert. Mir scheint, der Begriff »Gott« war eines der stärksten Schutzschilde, hinter die man sich ein Weltalter lang zurückzog, um dem Ungeheuren standzuhalten. Sähe man die Außenseite des Schildes, würde man zur Salzsäule erstarren. Erinnern Sie sich an den Schild des Perseus, in dessen Mitte das grauenerregende Haupt der Gorgo eingefügt war. Der Held steht aber auf der Innenseite des Schilds und kehrt den Schrecken nach außen. Dieses Bild beschreibt recht gut die Situation der menschlichen Intelligenz, wenn sie sich im Handgemenge mit dem Realen zu sichern versucht.

HARTMUT LANGE
ND: Wenn man zur Ruhe kommen will, hilft kein geschlossenes philosophisches System mehr. Vielen Menschen hilft Gott.

Mir nicht. Ich blieb trotz tiefster Verzweiflung zu sehr Rationalist, um voraussetzungslos glauben zu können.

Nietzsche sagte entschieden, Gott sei tot.
Ich sage nicht, er sei tot, ich sage: Er ist nicht da. Aber er ist, unter welchem Namen auch immer, offenbar nötig.

Wofür?
Gott ist der Abgrund des Unerkennbaren und zugleich Flügel des Trostes, um über diesen Abgrund hinwegzufliegen.

E. M CIORAN
Was bedeutet das Geschwätz über den »Tod Gottes« anderes als eine Todeserklärung des Christentums? Man wagt es nicht, die Religion frei heraus anzugrfeifen, darum nimmt man sich den Chef vor, dem man vorwirft, unaktuell, schüchtern und gemäßigt zu sein. Ein Gott, der sein Kapital an Grausamkeit verschwendet hat, wird von niemandem mehr gefürchtet oder respektiert. Wir sind von all den Jahrhunderten geprägt worden, in denen an ihn glauben so viel wie ihn fürchten hieß, in denen unsere Ängste ihn sich zugleich teilnahmsvoll und skrupellos vorstellten. Wen würde er heute einschüchtern, da die Gläubigen selber fühlen, dass er überholt ist, dass man ihn nicht mehr mit Gegenwart und noch viel weniger mit Zukunft vereinbaren kann?

HILDE DOMIN
Demut ist wie ein Brunnen.
Man fällt und fällt
in den bodenlosen Schacht
und aller Trost wird
stetig teurer.

H. M. ENZENSBERGER
GNADE. Auch so ein Fremdwort, selten zu hören/ am Telefon. Dem erschöpften Pfarrer/ mit den Spritzen und den Kondomen im Vorgarten/ wäre es peinlich, sie zu erwähnen./ Im Gnadenstreit, heißt es von fachkundiger Seite,/ können sich kleine Gleichgewichtsfehler/ katastrophal auswirken, so etwa/ die Gleichordnung des Unter- und Überzuordnenden,/ die Überordnung des Gleich- und Unterzuordnenden, die Unterordnung des Über- und Gleichzuordnenden.«// Das glaube ich kaum. Es gibt andere Sprachen,/ in denen gilt für Gnade und Grazie/ ein und dasselbe Wort. Geschaffene,/ und ungeschaffene, aktuelle und habituelle,/ erhebende und medizinelle Gnade:/ Wer das unterscheiden könnte!/ Andererseits wäre ein wenig Grazie/ immerhin etwas. Das höchste der Gefühle./ Ein wenig Grazie wäre besser als nichts./ Ein wenig Grazie wäre mir schon genug.


»Natürlich bin ich Atheist. Aber wenn Sie Gott aus der Kunst nehmen, können Sie die Kunst vergessen. Ohne Gott keine große Kunst. Ohne Gott bleibt da nicht viel. Vielleicht noch Ihr sozialistischer Realismus.
Aber hier geht es doch um die wirkliche Kunst, oder?«
ALFRED HRDLICKA im ND, 1996

JOHANN W. GOETHE

Margarete:
Glaubst du an Gott?

Faust:
Mein Liebchen, wer darf sagen:

Ich glaub' an Gott?
Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott
Über den Frager zu sein.

Margarete:
So glaubst du nicht?

Faust:
Mißhör' mich nicht, du holdes Angesicht!
Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
Ich glaub' ihn?
Wer empfinden
Und sich unterwinden
Zu sagen: ich glaub' ihn nicht?
Der Allumfasser, Der Allerhalter,
Faßt und erhält er nicht Dich, mich, sich selbst?

Wölbt sich der Himmel nicht da droben?
Liegt die Erde nicht hierunten fest?

Und steigen freundlich blickend
Ewige Sterne nicht herauf?

Schau' ich nicht Aug' in Auge dir,
Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir,
Und webt in ewigem Geheimniß
Unsichtbar sichtbar neben dir?

Erfüll' davon dein Herz,
so groß es ist,
Und wenn du ganz in dem Gefühle
selig bist,

Nenn' es dann wie du willst,
Nenn's Glück! Herz! Liebe! Gott!
Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsgluth.

(aus »Faust. Erster Teil«)
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