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Gehlens Topspion gegen Frankreich

VON DER CANARIS-ABWEHR ZUM BND

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.

Spannend, unterhaltsam, bildend – oder doch eher in umgekehrter Reihenfolge? Im Grunde ist das egal, wenn man »Im Schatten des Dritten Reiches« empfiehlt. Und das kann man – kein Wunder auch bei der Quellenlage. Vorgestellt wird das Leben eines Richard Christmann. Bei seiner fein nachgezeichneten Biografie geht es den Autoren auch um ein Stück deutscher Geheimdienstgeschichte, die zwar herbe gesellschaftsbedingte Brüche, doch auch allerlei Kontinuität aufweist: von der Abwehr der Wehrmacht zum Bundesnachrichtendienst (BND) – das ist fast noch die harmlose Variante, denkt man daran, mit welchen SS-Strolchen (Brunner, Barbie, Rauff) General Gehlen seinen Dienst bestückt hat.

Der Lebensweg des Agenten, den die Autoren (entsprechend dem Stil eines Lebemanns, der Christmann immer sein wollte und bisweilen trotz schwerer Zeiten auch war) nachzeichnen, hilft, das inzwischen kuschelweichgespülte deutsch-französische Verhältnis in seiner Widersprüchlichkeit besser zu begreifen.

1905 in der Nähe von Metz geboren, muss der halbe Deutsche Frankreich verlassen, wird aber von französischen Behörden ergriffen und in die Fremdenlegion gepresst. Er desertiert mehrmals. Vergebens. Nach sechs langen Jahren heimgekehrt nach Deutschland, wird er – wie alle Legionäre – zum Objekt der Gestapo. Deren Teufeln kann er sich nur durch einen Kontrakt mit den Belzebuben von Admiral Canaris entziehen. Christmann arbeitet für den deutschen Militär-Geheimdienst in Paris und den Niederlanden, fädelt das durch Romane wie Spielfilme hinreichend verklärte »Englandspiel« ein und hat so letztlich zahlreiche britische Fallschirmagenten und holländische Widerstandskämpfer auf dem Gewissen. Was ihm nach der Niederlage im zweiten deutschen Kriegszug erneut Verfolgung und Haft einbringt. Aber letztlich auch einen Job unter Gehlen. Beim BND-Vorläufer – wo alte Kameraden ihn schon erwarten, um ihn in den Untergrund des damals französisch verwalteten Saarlandes zu lancieren.

Auch wenn Christmann 1989 gestorben ist, so reicht sein Wirken bis in unsere Zeit hinein. Der Agent war nämlich ab 1956 der erste Vertreter des BND in Tunesien. Aus dem Besitz Christmanns sind nahezu alle geheimen Dokumente überliefert, die seine dortige aktive Spionage belegen. Daraus lassen sich die Interessen des BND und die der Bundesrepublik – beides ist keineswegs immer identisch – ablesen. Wer also Deutschlands offizielle Bedeutung und dessen inoffizielle Rolle vor, beim und nun im bereits wieder abklingenden demokratischen Frühling jenseits des Mittelmeeres verstehen will, kann im vorliegenden Band viel Historisch-Hintergründiges finden. Dokumentiert ist vor allem zum Thema algerischer Befreiungskampf, wie der BND – allen voran der FLN-Sympathisant Christmann – gegen die französischen »Freunde« gearbeitet hat. Auch durch Artikel im alten ND stießen die Autoren knapp 50 Jahre später auf Fakten, die Christmanns Aufzeichnungen ergänzen. Man ahnt, wie interessiert damals mit dem Maghreb befasste MfS-Leute und DDR-Außenpolitiker das Buch analysieren werden. Denn es enthält in Sachen arabische Welt vermutlich so einige neue Detailsichten auf die eigene Arbeit.

Die nun mit der Aufarbeitung der BND-Geschichte beauftragten Historiker werden Mühe haben, die Informationen des Buches zu toppen. Nicht zuletzt weil sie – im Gegensatz zu den Autoren – der BND-Zensur unterworfen sind.

Matthias Ritzi, Erich Schmidt-Eenboom: Im Schatten des Dritten Reiches: Der BND und sein Agent Richard Christmann. Ch. Links Verlag. 256 S., geb., 19,90 €

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