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ÖBS - Zumutung oder Innovation?

Für die LINKE steht in Erfurt ein eigenes Patent auf dem Spiel

  • Helge Meves
  • Lesedauer: 3 Min.
Am nächsten Wochenende entscheidet die LINKE über ihr Grundsatzprogramm. In einer Serie zeichnet »nd« Problemfelder nach, die im Vorfeld umstritten waren und womöglich in Erfurt für Kontroversen sorgen. Heute: Öffentlicher Beschäftigungssektor.

In der LINKEN ist es breiter Konsens, dass öffentliche und soziale Dienstleistungen in der Bundesrepublik unterentwickelt sind und zu häufig schlecht bezahlt werden. Der Programmentwurf sieht deshalb vor, Millionen reguläre und tariflich bezahlte Arbeitsplätze zu schaffen und damit dringende gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen - bezahlt von der öffentlichen Hand. Das von der PDS in den 90er Jahren entwickelte Konzept hat sich als »Öffentlicher Beschäftigungssektor« einen Namen gemacht und ist von rot-roten Regierungen in Schwerin und Berlin erprobt worden. Nach dem entsprechenden Abschnitt folgt im Leitantrag allerdings eine Passage, zu welcher schwergewichtige Änderungsanträge vorliegen. Der Entwurf lässt die Optionen des weiteren Vorgehens offen: »Wir diskutieren darüber, inwieweit mit einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor über die Arbeitsmarktpolitik hinaus die Beschäftigung im Non-Profit-Bereich dauerhaft fortentwickelt und gestärkt werden kann.« Die Änderungsanträge versuchen hingegen, eine Positionierung zu erzwingen.

Einigkeit herrscht zunächst über das grundlegende Problem. Die neoliberale Idee und mit ihr die Hartz-Arbeitsmarktreformen gehen davon aus, dass es immer weniger Wachstum und Arbeit gibt, weil die bestehenden Regelungen die Arbeit verteuern und überregulieren. Dagegen müsse der Arbeitsmarkt flexibler gemacht werden - weniger Kündigungsschutz, offene Arbeitszeiten, niedrigere Sozialbeiträge und Löhne sind die Folge. Dagegen argumentiert die LINKE, dass fallende Löhne kein Wachstum und damit keine Beschäftigung steigern, weil sie die Nachfrage kaputtmachen, die eine Voraussetzung für mehr Arbeitsplätze und höhere Löhne wäre. Denn sinkender Lohn bedeutet geringeren Konsum und geringerer Konsum geringeres Wachstum. »Die Verteilungsfrage muss vor der Wachstumsfrage gelöst sein«, brachte es Heiner Flassbeck, Chefökonom der Welthandelsorganisation UNCTAD, bei einer Klausur der Bundestagsfraktion in Rostock auf den Punkt.

In der Debatte um den Status des ÖBS geht es also um arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische und gleichzeitig um wirtschafts- und wachstumspolitische Fragen, die jeweils verschiedene Antworten zu ihrer Regulierung verlangen. Die LINKE setzt sich für Vollbeschäftigung und höhere Masseneinkommen ein und will diese durch ein Wachstum mit sinkendem Rohstoffverbrauch und Umweltbelastungen bei Arbeitszeitverkürzung erreichen. Das ist konzeptionell mit einem bundespolitischen Zukunfts- und Investitionsprogramm verknüpft, das auf die Schaffung von zwei Millionen neuen Stellen zielt.

Nicht bei dem Verhältnis von Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, sondern lediglich bei der Beschäftigungspolitik setzen nun die Änderungsanträge an - auf verschiedene Weise. Sie beschränken sich auf die Frage, wie die Opfer des neoliberalen Wechsels vom aktiven zum aktivierenden Arbeitsmarkt, wie die von eingeschränkten Rechten und wachsender Armut Betroffenen wieder zu politischen Subjekten mit langfristigen Beschäftigungsverhältnissen und gesichertem Einkommen gemacht werden können.

Die Antikapitalistische Linke und der Landesverband NRW wollen erwerbslose Menschen »in den ersten Arbeitsmarkt integrieren« und dagegen den ÖBS abschaffen, weil dieser »Ausdruck der Hartz-IV-Logik« sei, denn die Betroffenen blieben »dauerhaft vom ersten Arbeitsmarkt ausgeschlossen«. Ein Antrag Sachsen-Anhalts dagegen konstatiert, dass der ÖBS ein innovatives Konzept neben gängigen Arbeitsmarktinstrumenten sowie dem Öffentlichen Dienst ist, weil er Alternativen zu Ein-Euro-Jobs bietet und »mit der Hartz-IV-Logik bricht«. Das Forum Demokratischer Sozialismus beantragt gar, als weiteres Ziel für den ÖBS aufzunehmen, dass »tariflich bezahlte Arbeitsplätze als Alternative zu Ein-Euro-Jobs« geschaffen werden sollen.

Der ÖBS wird in der Debatte auch entlang der Studien etwa von Lenhart/Wagner bewertet werden. Diese testieren dem Berliner ÖBS eine »tendenziell positive Zwischenbilanz«, merken aber auch an, dass drei Viertel der Beschäftigten nach den letzten Kürzungen bei den Bundeszuschüssen einen Bruttolohn von lediglich 1300 Euro beziehen. Weitere Aspekte wie die Langfristigkeit und der politische Status der Beschäftigten sind zu bedenken. Nicht zuletzt ist grundsätzlich zu fragen, ob die vom Arbeitsmarkt Abgehängten im ÖBS oder im öffentlichen Dienst tatsächlich an der richtigen Stelle untergebracht sind, wenn es darum geht, ihnen einen Anteil an der Erfüllung sinnvoller gesellschaftlicher Aufgaben zu ermöglichen.

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