»Ich bin immer oben«

Deutschlands erfolgreichste Olympionikin aller Zeiten hat alles gewonnen und doch noch nicht genug

Bollmannsruh am Brandenburger Beetzsee: Hier, an ihrem Lieblingsplatz, hat sich Birgit Fischer vor zehn Jahren ein Haus gekauft und es rundum erneuert. »Vieles«, so erfahre ich später bei unserem Treff, »habe ich selbst gemacht. Nur selten habe ich Handwerker reingelassen.« Typisch Birgit Fischer!
Birgit Fischers Grundstück in Bollmannsruh am Beetzsee: Führt von hier ihr Weg nach London?
Birgit Fischers Grundstück in Bollmannsruh am Beetzsee: Führt von hier ihr Weg nach London?

Bollmannsruh am Brandenburger Beetzsee: Hier, an ihrem Lieblingsplatz, hat sich Birgit Fischer vor zehn Jahren ein Haus gekauft und es rundum erneuert. »Vieles«, so erfahre ich später bei unserem Treff, »habe ich selbst gemacht. Nur selten habe ich Handwerker reingelassen.« Typisch Birgit Fischer!

Durch Bollmannsruh, ein Ortsteil von Päwesin, 15 Kilometer von Brandenburg, führt nur eine Asphaltstraße, Felder rechts und links. Plötzlich rechts ein schmaler Feldeeg, kein Straßenname. Er führt zum Ziel: Bollmannsruh 4.

An der Vorderseite des zweigeschossigen Hauses rührt sich zunächst nichts. Ich gehe zur Terrassenseite, öffne vorsichtig die Tür und rufe nach der Hausherrin. Kein Echo. Ist sie womöglich beim Training auf dem Wasser? Ich laufe durch den Garten zum Wasser und blicke auf den Beetzsee. Keine Spur von ihr. Aber sie kann nicht weit sein, ihr Auto steht auf dem Grundstück. Ich greife zum Handy. Sie meldet sich, sie ist im Haus und kommt mir zur Terrasse entgegen. »Du hast wohl die Klingel nicht gesehen«, lacht sie und sagt: »Ich bin immer oben.« Als ob man das wissen müsste - oben, womit sie meint, dass sie im Obergeschoss ihres Hauses wohnt. Da kommt mir in den Sinn: Eigentlich könnte der Satz auf ihre sportliche Karriere gemünzt sein, denn da war sie fast immer oben und vorneweg.

Als wir am Tisch in der Küche sitzen, mit dem Blick zur einen Seite auf die Felder von Bollmannsruh, zur anderen auf den Beetzsee, will ich von ihr wissen, wie sich die Welt verändert hat, seit sie im Juli ihr Comeback für Olympia 2012 in London angekündigt hat. »Verändert hat sich überhaupt nichts«, antwortet sie und hantiert dabei an der Kaffeemaschine. »Meine Gedanken sind auch noch nicht bei Olympia. Das ist weit weg. Ich will in erster Linie herausfinden, wo meine Leistungsgrenzen sind.«

Das vierte Comeback ist das verrückteste

Entspringt ihr Entschluss mit 49 Jahren womöglich so einer »verrückte Lebensphase«, nachdem ihre beiden Kinder Ole (25) und Ulla (22) aus dem Haus sind? »Nein, ich gehe schon seit zwei Jahren mit diesem Gedanken schwanger«, wehrt sie ab. Letzter Anstoß seien Paddler in ihrem Kurs gewesen. Die waren so gut drauf, dass sie ihr Rennkajak hervorholte, um die Paddlergruppe begleiten zu können. »Da war die Lust und die Leidenschaft wieder entfacht. Es war ein Gefühl, als ob man vom Tourenrad aufs Rennrad umsteigt. Mein Einer glitt so wunderbar durchs Wasser, und es machte wieder so viel Spaß«, schildert sie.

Plötzlich waren ihre Gedanken bei ihrem letzten internationalen Start 2005 bei den WM in Zagreb. Sie nippt an ihrer Kaffeetasse, um nach kurzer Pause fortzufahren: »Ich bin einfach nicht zur Ruhe gekommen, seit ich das Paddel aus der Hand gelegt habe. Ich bin 2005 mit einer sehr schwierigen WM-Vorbereitung noch zu zwei Bronzemedaillen gekommen. Fortan habe mich gefragt: Das soll es gewesen sein?« Nun will sie herausfinden, was sie noch kann. Das sei das eigentliche Motiv ihres Comebacks. Wenn am Ende der Olympiastart 2012 in London stehen könnte, mit 50 Jahren - auch gut. Es wären ihre siebenten Olympischen Spiele.

Nach ihrer Zählweise ist es das vierte Comeback. Aufsehenerregend war dabei die Rückkehr 2004 in Athen, nachdem sie 2000 das Paddel in die Ecke gestellt hatte. 303 Tage genügten, um Gold und Silber zu erkämpfen. Auch für Peking 2008 hatte sie einen olympischen Auftritt angestrebt, aber im Februar 2008 den Rückzug angetreten, weil ihr neugegründetes Unternehmen zu viel Zeit kostete.

Das neuerliche Comeback mit fast 50 und nach sechsjähriger Wettkampfpause ist nicht unumstritten. Aber sie wehrt Einwände ab: »Es gibt Leute, die sagen: Was will die eigentlich? Die hat doch alles erreicht! Aber soll ich mir mit 50 keine Ziele mehr stellen dürfen? Ich nehme auch keinem einen Platz in der Mannschaft weg. Noch hat keiner einen. Jeder muss ihn sich erst erkämpfen.«

Täglich eine Stunde auf dem Beetzsee

Es wird keine leichte Sache, das weiß sie. »Aber genau das reizt mich ja.« Sie habe sich inzwischen wieder bei der Nationalen Anti-Doping-Agentur angemeldet, um im Dopingkontrollsystem erfasst zu sein. Vom Deutschen Kanuverband kennt sie die Kriterien noch nicht für die beiden Sichtungsrennen im April 2012, um sich für den Kaderkreis zu qualifizieren. »Die werden meist erst Ende Oktober bekanntgegeben«, sagt sie.

Diese Sichtungsrennen sind ihr nächstes Ziel. »Wenn ich in diesen Ausscheidungsrennen den Sprung in die Nationalmannschaft nicht schaffe, dann kann ich damit gut leben. Dann weiß ich, dass der Paddelsport auf Weltspitzenniveau für mich nicht mehr drin ist, und ich finde endlich die innere Ruhe.« Aber Fischer wäre nicht Fischer, wenn sie nicht auch sagen würde: »Ich will mit 50 bei Olympia dabei sein.« Könnte sie vorher aufstecken? »Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich ziehe das durch.«

Sie trainiert für das »verrückte Comeback« täglich eine Stunde auf dem Beetzsee mit ihrem alten Renneiner, den sie 2004 von Sponsoren bekommen hat. Sie trainiert allein, ohne Trainer, ohne Trainingsplan. »Ich bin erfahren genug. Seit 1992 habe ich mich selbst trainiert. Ich habe meinen Diplomtrainerschein an der DHfK in Leipzig gemacht und an der Uni Potsdam meine Sportlehrerausbildung abgeschlossen. Ich habe auch zu DDR-Zeiten nicht streng nach Plan trainiert und immer wieder das Training verändert.«

Wenn der Winter kommt und der Beetzsee zugefroren ist - was dann? »Dann bin ich weg, fahre zu Freunden nach Australien oder Südafrika, um dort zu trainieren.« Und was wird derweil aus ihrer Paddelschule »KanuFisch«, bei der man Kanukurse, Wanderfahrten, Vorträge und vieles mehr buchen kann? »Die steht dann etwas zurück. Doch ich habe ein finanzielles Polster und kann das verkraften.«

Wir gehen ans Wasser. Sie schließt ihr Bootshaus auf. Hier sind Wanderboote und Paddel über Paddel gelagert, dazu diverse Kanutenutensilien. »Alles für meine Kunden«, sagt sie. »Es kommen Jung und Alt. Die einen wollen das Paddeln erlernen, um sich einen neuen Sport zu erschließen, andere technische Feinheiten vermittelt bekommen, um schneller zu werden. Es läuft gut.« Man spürt: Sie fühlt sich wohl in ihrer Rolle als Geschäftsfrau, wobei sie das 2000 abgeschlossene Fernstudium »Sport und Touristik Management« in Düsseldorf hervorhebt.

Sie zeigt schließlich auf einen rechteckigen Flachbau, einst ein alter Bungalow. Den hat sie renoviert und ausgebaut zur Ausbildungsstätte ihres Unternehmens für Theorie und Trockentraining. Dort hat sie auch alles für ihr eigenes Krafttraining untergebracht.

Als sich an diesem Spätsommertag schon der Sonnenuntergang abzeichnet, steigt Birgit Fischer in ihren schmalen Kajak. Sie will jetzt trainieren. »Ich versuche, jeden Tag ein paar Kilometer zu fahren, um meinen Körper daran zu gewöhnen, dass eine enorme Belastung auf ihn zukommt«, sagt sie. Bevor sie lospaddelt, will ich noch wissen, wie sie ihr Regenerationsprogramm in den Griff bekommt: »Nachher nehme ich zu Hause ein Entspannungsbad, ansonsten fahre ich in die Brandenburger Schwimmhalle.«

Mit kraftvollen Paddelschlägen lässt sie mich am Ufer zurück. Mir kommt die Bemerkung in den Sinn: »Ich bin immer oben.« Wo sind wirklich Birgit Fischers Grenzen?

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal