Feier und Hoffnung

Alfilm 11 wirft einen Blick auf die Vielfalt arabischen Filmschaffens

  • Bodo Schönfelder
  • Lesedauer: 4 Min.

Angesichts der Ereignisse zu Beginn des Jahres in Tunesien und Ägypten, die - vielleicht etwas überemphatisch - mit dem Begriff Arabischer Frühling bezeichnet wurden, war es eine konsequente Entscheidung der Veranstalter, der Freunde der arabischen Kinemathek Berlin e.V. (Cinemaiat), die inzwischen dritte Ausgabe des arabischen Filmfestivals mit »18 Days« aus Ägypten zu eröffnen, einem Episodenfilm, der in Vignetten Ereignisse erfindet, die sich rund um den erfolgreichen Aufstand gegen den Machtapparat Hosni Mubaraks abgespielt haben könnten.

Da ist der ängstliche Ehemann, der versucht, seine Ehefrau von der Teilnahme an den Demonstrationen abzuhalten, um am Ende gerade dabei neue Gemeinsamkeiten zu finden, der Folterer, der aus einem Opfer nur den Aufruf für Freiheit »erzwingt«, der romantische Jüngling, der seine Angebetete schließlich vor einem Panzer trifft, der Arbeitslose, der sich als Provokateur für die Mubarak-Anhänger anheuern lässt, die kleine Komödie um einen Mann, der als fliegender Händler am Rande der Ereignisse immer die falschen Bilder und Texte anbietet, und anderes mehr. Fast nur in TV-Bildern sichtbar ist das symbolische Zentrum des Geschehens, der Tahrirplatz. Die Protagonisten sind eher Beobachter als Akteure.

Verständlich, dass die Qualität der Episoden schwankt. Sichtbar wird zudem an diesem Film, wie auch an dem tunesischen Dokumentarfilm »La Khaoufa Baada al'Yaoum« (No more Fear) von Mourad Ben Cheikh, der das Gefühl der Befreiung, des Wegfalls von persönlichen Blockaden nach Jahrzehnten politischer Unterdrückung festhält, dass Film und Video träge Medien bei der Durcharbeitung von Ereignissen sind. Beide Arbeiten betonen eher die Aspekte der Feier, der Erinnerung und der Trauer um die Opfer einer politischen Umwälzung, als dass sie kritische Fragen stellen. Es wird noch einige Zeit dauern, bis dafür die richtige Form gefunden wird.

Ein »Glücksfall« in diesem Zusammenhang ist »Mammnou« (Forbidden) von Amal Ramsis aus Ägypten, dessen Endmontage mit dem Beginn der Umwälzungen zusammenfiel. Die Regisseurin fächert anhand der Erzählungen von Personen unterschiedlicher kultureller Couleur die beinah absurd zu nennende Bandbreite des ägyptischen Verbots- und Regulierungsapparats auf, der offen, aber auch subtil versuchte, jeden Aspekt de Alltags zu erfassen, eine surreale Mischung aus Bürokratie und Machtdemonstration. Gleichzeitig meint man zusehen zu können, wie dieser Apparat Amok läuft, und damit die Möglichkeit seiner Zerstörung eröffnet. Folgerichtig endet der Film mit dem Titel, dass er noch nicht zu Ende sei.

Das Filmangebot umfasst neben dem Hauptrogramm mehrere Specials, darunter eine Hommage an den kürzlich verstorbenen syrischen Dokumentarfilmer Omar Amiralay, ein Programm arabischer Experimentalfilme, Diskussionen und eine Theateraufführung. Es gibt eine Retrospektive der Arbeiten der beiden libanesischen Filmemacher Bourhan Alaouié und Maroun Bagdadi, und der Fokus ist dieses Jahr dem »Humor im arabischen Film« gewidmet, über den die Veranstalter schreiben, dass er hierzulande nicht wahrgenommen, bzw. der arabischen Welt abgesprochen werde. Das Programm aus Klassikern und Modernem, aus Mainstream und Kunst kann dem deutschen Zuschauer allenfalls eine Ahnung davon vermitteln. Die Distanz der Sprachen und die unterschiedlichen Sprachkulturen erschweren die Erfahrung des Sprach- und Dialogwitzes, das Spiel mit Bedeutungen, wie in den Filmen mit dem aus dem ägyptischen Vaudeville stammenden Schauspieler Naguib Al Rihani, der als Vater der ägyptischen Komödie gilt, und dessen Bedeutung für die Entwicklung des populären ägyptischen Kinos allgemein nicht zu unterschätzen ist. Gezeigt werden von ihm die Filme »Salama fi Khair« (Everything is fine, 1938, Regie Niazi Mostafa) und »Ghazal al Banat« (The Flirtation of Girls, 1949, Regie Anwar Wagdi).

Wie das Hauptprogramm zeigt, können Filme in der arabischen Welt, so verschieden sie sein mag, fast nur als ausländische Koproduktion gedreht werden. Lediglich Marokko besitzt derzeit in Ansätzen so etwas wie eine Filmindustrie. Von dort kommt »Casanegra« (2008) von Nour-Edine Lakhmaris. Der Film ist absolut professionell gemacht. Gekonnt spielt der Regisseur mit den Versatzstücken des internationalen Unterhaltungskinos. Stilsicher und mit gezielten Effekten entwirft er eine düsteres, mythisch-realistisches Bild einer Unterwelt von Casablanca, in der zwei Herumtreiber und Kleinkriminelle versuchen ihr Glück zu machen.

Am spannendsten sind aber die diesjährigen Dokumentarfilme. »Sheoyin Kenna« (We were Communists, 2010, Regie Maher Abi Samra) beispielsweise, in dem einige politische Aktivisten von ihren Hoffnungen und deren Scheitern auf eine säkulare freie Gesellschaft durch die Kommunistische Partei erzählen und den Zerfall in religiös orientierte Gruppieren und die Stärke der Hisbollah reflektieren. Oder »Yawmiyyat« (Diaries, 2010, Regie May Odeh). Für den Film hat die Regisseurin einige ehemalige Studienkolleginnen im Gazastreifen besucht, die ihre individuellen Wege zwischen persönlicher Freiheit und Ansprüchen einerseits, und Druck durch die Einkesselung und den der Hardliner der Hamas andererseits suchen. Kein einfache Entgegensetzung Individuen/Israel, Hamas, sondern sensibles Eingehen auf Leben in einer Extremsituation.

Im nächtlichen Casablanca auf dem Weg zum Glück? – »Casanegra« von Nour-Edine Lakhmaris
Im nächtlichen Casablanca auf dem Weg zum Glück? – »Casanegra« von Nour-Edine Lakhmaris
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