Marktplatz des Halbwissens

MEDIENgedanken: Polittalk mit Günther Jauch in der ARD

  • Robert Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Die 2010 gefallene Entscheidung der ARD, einen der beliebtesten TV-Gesichter Deutschlands für ein fünftes Talkshowformat im Ersten zu verpflichten, war mutig und wohl kalkuliert zugleich. Immerhin setzt man die Zuschauer nach Will, Maischberger, Plasberg und Beckmann der Gefahr eines medialen Overkills aus. Für einen weiteren Talk im Ersten musste also eine Person gefunden werden, welche entweder durch ein neues Sendungskonzept überzeugen würde und so den Zuschauern einen echten Mehrwert bietet oder es musste jemand eine Verpflichtung eingehen, der bei der deutschen TV-Nation über ein hohes Maß an Zuspruch verfügt.

Mit Günther Jauch setzten die Verantwortlichen Programmplaner auf Sicherheit. Es kommt nicht von ungefähr, wenn in einer Erhebung die Mehrheit der Befragten erklärt, sie würden dem Moderator selbst in der Rolle eines Haustürvertreters blind vertrauen und ihm seinen angepriesenen Ramsch abkaufen. Verstehen wir Günther Jauch also als einen Verkäufer, dann verstehen wir auch sein langjähriges Erfolgsrezept, welches er mit Formaten, wie dem von seinem eigenen Unternehmen produzierten »stern TV« beim Kölner Privatsender RTL, erst entwickelte und mit den Jahren zur Perfektion trieb. Als Händler muss man seine Ware möglichst so feilbieten, dass bei den Kunden nach dem Kauf ein möglichst positives Gefühl zurückbleibt, denn sonst wird eine Vielzahl der Abnehmer schnell von einem erneuten Konsum der Ware absehen.

Jauch hat in seiner gesamten TV-Karriere selten Produkte abgeliefert, welche über das Niveau von bloßer Unterhaltung und Information auf dem Niveau des boulevardesken Mainstream hinaus gingen. Zwar prangerte er regelmäßig auch Missstände an, ging dabei aber nie so weit, seine Zuschauer und deren Meinung mehrheitlich auch einmal gegen sich aufzubringen. Doch gerade die Fähigkeit, die vorherrschenden systemkonformen Ansichten durch das Aufzeigen von Widersprüchen gegen sich aufzuwiegeln und damit eine echte Diskussion zu provozieren, zeichnet einen guten Journalisten aus.

Nun hat Jauch nicht nur ein gebührenfinanziertes Millionenbudget zur Verfügung gestellt bekommen, das im Vergleich zu ähnlichen Formaten um mehr als ein Drittel höher liegt, sondern er hat für seinen rund einstündigen Polit-Talk auch noch den beliebten Sendeplatz im direkten Anschluss an den »Tatort« erhalten, wofür Anne Will nach vier Jahren weichen musste. Rein von den äußerlichen Voraussetzungen könnte Jauch hier also ohne weiteres beweisen, welches noch unentdeckte politjournalistische Talent in ihm schlummert. Allerdings zeichnet sich bereits nach den ersten Sendungen deutlich ab, dass der Verkäufer seinen im Privatfernsehen erlernten Marktprinzipien treu bleibt. Egal, ob im bedeutungsschwangeren Einzelinterview mit Bundeskanzlerin Merkel oder im Gespräch mit mehreren Gästen, Jauchs Position als Moderator reduziert sich häufig auf die Rolle des reinen Stichwortgebers der illustren Marktschreierrunde.

Besonders das gefährliche Halbwissen seiner Gäste bekommt deshalb eine Chance, beim Publikum in der Talk-Arena und vor den TV-Bildschirmen auf fruchtbaren Boden zu stoßen. Sinniert Merkel über die Aberkennung der Souveränitätsrechte für die sogenannten Schuldenstaaten, kann sie sich eines ausbleibenden Widerspruches durch den Moderator sicher sein. Handelsbilanzen? Exportüberschüsse? Derartiges Vokabular, von wirtschaftlichem Fachwissen sei hier noch nicht einmal gesprochen, sucht man bei Jauch vergeblich.

Moderatoren müssen den Drahtseilakt beherrschen, sich einerseits auf die Rolle des neutralen Diskussionsleiters zu beschränken, andererseits müssen sie jederzeit durch Faktenwissen zur Intervention bereit sein, wenn sich die Marktschreier mit gegensätzlichen Behauptungen übertrumpfen. In den bisherigen Talkrunden beherzigte Jauch keine dieser Grundsätze. Der Dumme ist deshalb der Zuschauer. Ohne sachkundige Hilfestellung hat er keine Chance, im undurchsichtigen Dickicht zwischen Fakt und billiger PR-Maschinerie zu unterscheiden. Eine Sendung Jauchs zum Thema Verschwendung von Lebensmitteln zeigte dies eindrucksvoll. So behauptete die bekannte Fernsehköchin Sarah Wiener, die EU würde noch immer den Export von Lebensmitteln in Entwicklungsländer subventionieren. Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) widersprach, das Publikum blieb ohne Klärung des Sachverhaltes zurück, da sich nicht einmal Jauch trotz Vorbereitung und redaktioneller Unterstützung im Stande sah, diese Frage zu klären.

Klarheit ist nicht das Geschäft des 55-Jährigen. Stattdessen bietet der Talkgastgeber jedem eine Plattform, der gerade meint, etwas zur Lage in Deutschland, Europa oder in der Welt beitragen zu müssen. Und so bekommen Helmut Schmidts Rauchschwaden eine eigenwillige Metaphorik. Jauch stochert blind im Zigarettenqualm und durchschaut nicht, wie Peer Steinbrück von seinem Ziehvater zum SPD-Kanzlerkandidaten erhoben wird. Eine rationale argumentative Basis dafür gibt es freilich kaum, denn der Ex-Finanzminister und nun Hinterbänkler ist mit den von ihm verantworteten Entscheidungen in der Vergangenheit nicht ganz unschuldig, was die aktuelle Finanzkrise anbelangt. Derartige Zusammenhänge müsste ein Moderator zutage fördern, doch Jauch ist und bleibt auf ewig der Verkäufer auf dem Marktplatz des Halbwissens.

Der Autor ist freier Journalist und lebt in Chemnitz

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