Kumpanei der Elite

Salon Deutschland – Geist und Macht

  • Martin Meier
  • Lesedauer: 2 Min.

Historische Phänomene sind für uns Nachgeborene oft nur schwer nachvollziehbar. Unbegreiflich erscheint vielen noch heute der Aufstieg des Nationalsozialismus in einem Land, dessen geistiger Reichtum und dessen kulturelle Leistungen gerade im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert Weltruf genossen. Den Anteil der Intelligenz am Aufstieg einer menschenverachtenden Ideologie zeichnet das sprachlich wie inhaltlich bemerkenswerte Buch von Wolfgang Martynkewicz nach.

Aus ältestem europäischen Adel stammend, heiratete Elsa Prinzessin Cantacuzène 1898 den vermögenden Unternehmersohn Hugo Bruckmann. Beide übernahmen den bereits von Hugos Vater gegründeten Verlag in München und formten ihn zu einer den literarischen, philosophischen und künstlerischen Diskurs der kommenden 30 Jahre mitbestimmenden Institution. Die Bruckmanns verlegten die Werke des rasseideologischen Vordenkers Housten Stuart Chamberlain ebenso wie die kulturpessimistische Arbeiten des Philosophen Hermann Graf Keyserling oder die Schriften der versierten Kunsttheoretiker Kassner und Wölfflin. Im Salon der Bruckmanns am Münchener Karolinenplatz 5 trafen sich bis 1941 Persönlichkeiten des Kaiserreiches, der Weimarer Republik und des NS-Staates, darunter Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke und Stefan George, später aber auch Baldur von Schirach, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler. Der Literatuwissenschaftler Martynkewicz zeigt den Schulterschluss zwischen den alten Eliten und der sich antibürgerlich und revolutionär gebenden Nationalisten unterschiedlichster Couleur. Grundzüge der NS-Ideologie finden sich bereits im Bildungsbürgertum des Kaiserreiches, so die Ablehnung moderner Kunstströmungen, die Kritik an einer angeblichen Vermassung bei gleichzeitiger Verherrlichung des »Rasse«-Kollektivs sowie die Sehnsucht nach starken Führerpersönlichkeiten. Es nimmt wenig Wunder, dass Teile dieser Klientel die NS-Herrschaft begrüßten. Elsa Bruckmann ließ es sich nicht nehmen, Hitler nach dessen gescheiterten Putschversuch von 1923 in seiner Gefängniszelle in Landsberg zu besuchen, und dieser revanchierte sich nach seiner Entlassung mit Gegenbesuchen in deren Salon.

Detailliert schildert Martynkewicz die konservativ-völkische Klientel des Bruckmannschen Salons, die in Hitler den starken Mann vermutete, der dem Materialismus und dem bürgerlichen Mief entgegentritt; in den 30er Jahren sah sie sich von diesem jedoch zunehmend enttäuscht. Schrieben sich die Nazis zunächst eine kulturelle Revolution auf ihre Fahnen, die mit modernen Fehlentwicklungen radikal aufzuräumen gedachte, so zeigte sich ab 1937 unverhohlen deren Verachtung der alten Eliten. Die Ausrichtung des Reiches auf den Krieg ließ zudem künstlerische Debatten kaum noch zu.

Martynkewicz' Buch beweist eindrucksvoll: Kunst ist oft nur Trittbrett der Politik und wird von ihr entsorgt, sobald sie ihre Aufgabe erfüllt hat.

Wolfgang Martynkewicz: Salon Deutschland. Geist und Macht 1900-1945. Aufbau-Verlag, Berlin 2010. 617S., geb., 26,95 €.

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