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Das Gedächtnis der Deutschen

  • Kurt Wernicke
  • Lesedauer: 4 Min.
Dr. Kurt Wernicke, geboren 1930 in Berlin, 1968 bis 1986 Direktor der Abteilung Zeitgeschichte/DDR-Geschichte im Museum für Deutsche Geschichte in Berlin, forscht und publiziert über das 19. und 20. Jahrhundert sowie Berliner Kulturgeschichte.
Dr. Kurt Wernicke, geboren 1930 in Berlin, 1968 bis 1986 Direktor der Abteilung Zeitgeschichte/DDR-Geschichte im Museum für Deutsche Geschichte in Berlin, forscht und publiziert über das 19. und 20. Jahrhundert sowie Berliner Kulturgeschichte.

Über die »Großen Deutschen Kunstausstellungen« (GDK) muss man nicht viele Worte verlieren: Sie waren eine nazistische Wiederbelebung der im 19. Jahrhundert blühenden großen Kunstausstellungen, die angesichts des noch unentwickelten Kunsthandels den bildenden Künstlern Gelegenheit boten, sich als Vertreter bestimmter Themen, bestimmter Stile und eines bestimmten handwerklichen Könnens zu präsentieren und Kunden zu werben. Im NS-Regime war diese Werkschau bewusst aus solcher Tradition abgeleitet.

Der sich selbst zum bildenden Künstler berufen fühlende »Führer« hatte seiner »Bewegung« schon in ihrer »Kampfzeit« vorgegeben, worin die bildende Kunst im NS-Reich ihr Vorbild zu sehen habe: in der brav-biederen Tradition des 19. Jahrhunderts bei gleichzeitiger Diffamierung der im 20. Jahrhundert mächtig emporschießenden Moderne. In Verfolg dieser Aufgabenstellung wurde schon 1933 der Auftrag erteilt, in München ein eigenes »Haus der Deutschen Kunst« zu errichten. Nach dessen Fertigstellung eröffnete dort im Juli 1937 die 1. »Große Deutsche Kunstausstellung«, die in ihren Exponaten nun nachhaltig demonstrierte, dass künftig in Stil und Ausdruck deutscher Malerei und Plastik das 19. Jahrhundert fröhliche Urständ zu feiern habe. Das Gros der damals tätigen deutschen Maler und Bildhauer, die ihre Ausbildung an deutschen Kunstakademien absolviert hatten, steckte zudem zutiefst in dieser Tradition, die ganz besonders an der Münchner Akademie mit idyllischen Schilderungen der bäuerlichen Arbeits- und Familienwelt über Jahrzehnte Triumphe gefeiert hatte. Diesen Adepten der bildenden Kunst kam auch durchaus entgegen, dass zur besseren Würdigung ihres Traditionalismus der 1. GDK ein agitatorisches Gegenstück zur Seite gestellt wurde, das unter dem Titel »Entartete Kunst« Beispiele aus modernen Kunstrichtungen präsentierte. Da diese als Ekel-Effekt konzipierte Gegenausstellung aber mit über zwei Millionen Besuchern den Besucherzustrom zur GDK erheblich übertraf, verschwand das Konzept der Gegenüberstellung von Traditionalismus und Moderne in der Ablage und die »entartete« Kunst in Depots oder in Valuta zahlenden ausländischen Galerien.

Die GDK bot dann Jahr für Jahr die gleichen Handschriften. Ab dem Kriegsjahr 1940 gewannen Militärszenen - die schon ab 1937 vereinzelt dafür gesorgt hatten, dass die angeblich heroische Zeit 1914 bis 1918 nicht in Vergessenheit gerate - an Raum. Und solange rastlos gesiegt wurde, war neben Heldentum auch breitbrüstige Angeberei gefragt. Der Autor dieser Zeilen erinnert sich, dass er in der nach Berlin gewanderten 5. GDK im Sommer 1942 Georg Leberechts »Bomben auf Engeland« sah, was ihm damals angesichts des ein Vierteljahr zuvor erfolgten ersten flächendeckenden Angriffs der Royal Air Force auf die Lübecker Altstadt als recht makaber dämmerte. Bei der Einnahme von München im April 1945 fiel den Amerikanern der größere Teil des Ausstellungskrempels in die Hände. Sie übergaben ihn schon 1946 an deutsche Behörden. Daraus entstand dann 1947 der Kern des heutigen Zentralinstituts für Kunstgeschichte.

So weit, so schlecht. Was hat das nun aber mit der jetzt freigegebenen Internet-Plattform www.gdk-research.de zu tun? Es sollen keine Zweifel daran bestehen, welches Urteil über die Exponate aus den zum Ruhme der NS-Kunstdoktrin veranstalteten »Großen Deutschen Kunstausstellungen« zu fällen ist. Auf einem anderen Blatt steht hingegen die Bewertung der in zweijähriger, vom Freistaat Bayern bezahlter Digitalisierung aller acht GDK entsprungenen fotografischen Aufnahmen von Ausstellungsräumen und Einzelexponaten. Sie entspricht der Bewahrungsfunktion, die Institutionen zur Deponierung von Zeugen der Vergangenheit qua definitionem an sich haben, ob Archive, Bibliotheken oder Museen. Sie bergen das materiell geronnene Gedächtnis der Menschheit. Zur Sammlung gehört als unumgängliche Ergänzung die wissenschaftliche (!) Aufarbeitung, Pflege und Nutzbarmachung der Bestände. Darin liegt die Daseinsberechtigung von Archiven, Bibliotheken und Museen, seit die Menschen Gegenwart von der Vergangenheit trennten und so zu dem Begriff »Geschichte« fanden.

Die Schatzkammern der Menschheit haben die moralische, aber auch durch den Geldgeber in regelnde Normative gesetzte Pflicht, die bei ihnen gehüteten Bestände der Öffentlichkeit für Belehrung, Forschung und Anschaulichkeit zugänglich zu machen. Deshalb geben Archive Bestandswegweiser heraus und bieten Findbücher, deshalb weisen Bibliotheken mittels Katalogen die Wege zu ihren Büchern und Druckschriften, deshalb veröffentlichen Museen - neben den Katalogen - Übersichten zum Inhalt ihrer Depots; Abbildungen sind darin nicht ungewöhnlich, mit dem Fortschreiten des Mehrfarbendrucks nahmen diese gar zu.

Nun hat in den letzen drei Jahrzehnten die Digitalisierung völlig neue Dimensionen eröffnet. Standardwerke belletristischer und wissenschaftlicher Literatur sowie ganze Kunstgalerien sind digitalisiert und im Internet mühelos zugänglich. Und täglich werden es mehr. Jetzt also ist auch der geschlossene Bestand der ominösen »Großen Deutschen Kunstausstellungen« von 1937 bis 1944 abrufbar - als Anschauungsmaterial. Dass die deutsche Kunstgeschichte mit diesem ihr immanent zugehörigen Kapitel künftig nicht mehr unverbindlich-wolkig, sondern objektbezogen konfrontiert ist, muss ihr nicht zum Schaden gereichen. Dass neben der Wissenschaft in der uns umgebenden hypertrophierten Mediengesellschaft auch auf den Boulevard fixierte Skribenten sich des möglichen Zugriffs bedienen werden, ist als der üblich gewordene Kollateralschaden abzuhaken.

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