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Alles Extremisten außer Mutti

Viele Initiativen, die sich gegen Rechts engagieren, werden von den Behörden nach wie vor als Staatsfeinde betrachtet

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 4 Min.
Opferberatungsstellen und Initiativen gegen Rechts wehren sich gegen ihre Gleichsetzung mit Rechtsradikalen.

Die Anliegen der Initiativen, die sich gegen Rechtsradikalismus engagierten, seien zu der jeweiligen Bundesregierung »im Prinzip immer nur schwerfällig durchgedrungen«, sagt Anetta Kahane, die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung auf Nachfrage. »Von der derzeitigen Bundesregierung wird das alles sogar als eine Art Flügelkampf zwischen Rechts und Links wahrgenommen.« Dabei wäre es, so Kahane, »ganz im Sinne der Opfer«, dass Taten Rechtsradikaler »als politische Straftaten wahrgenommen werden, als Hassverbrechen im klassischen Sinn«.

»Rivalisierende Banden«

Am Montag meldeten sich die Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt und antirassistische Initiativen mit einem Appell zu Wort, in dem den politisch Verantwortlichen eine Mitschuld an den jüngsten Ereignissen gegeben wird. »Die öffentlich zugänglichen Informationen und Analysen« derer, die sich seit Jahren gegen Rechtsradikale engagieren, seien von Politikern in der Vergangenheit »offenbar komplett ignoriert« worden, heißt es in dem Aufruf. Die Polizei und die Justiz hätten fortgesetzt »mit einer Mischung aus Verharmlosung, Entpolitisierung und Inkompetenz« auf jede Bedrohung von rechts reagiert.

Tatsächlich konnte man noch bis vor kurzem in schöner Regelmäßigkeit die Beobachtung machen, dass gewaltsame Angriffe auf Andersdenkende und Migranten bagatellisiert oder von den Strafverfolgungsbehörden zu unpolitischen Auseinandersetzungen »unter rivalisierenden Jugendbanden« umgelogen wurden. So wurden aus militanten Neonazis amüsierwillige »Rowdys« und aus sich zur Wehr setzenden Antifas »vermummte Chaoten« gemacht. Gängig ist es seitens der Behörden auch, bei jeder Straftat, bei der möglicherweise Ausländerfeindlichkeit eine Rolle spielen könnte, reflexartig jeden Zusammenhang mit rechtem Gedankengut zurückzuweisen. Jeder, der in den vergangenen 20 Jahren Zeitung gelesen und Radionachrichten gehört hat, kann den seit Jahr und Tag wiederholten und von den Medien stets brav apportierten Satz auswendig aufsagen: »Nach Angaben der Ermittlungsbehörden kann ein rechtsextremistischer Hintergrund ausgeschlossen werden.«

Die Bemühungen antifaschistischer Gruppen wurden indes diskreditiert: »Bei Ermittlungen gegen NeonazigegnerInnen (…) wird nicht einmal mehr vor Kirchengemeinden haltgemacht«, heißt es im Appell der Opferberatungsstellen.

Ein weiteres sich bis in die Gegenwart fortsetzendes Ärgernis ist die bereits von Wissenschaftlern widerlegte, aber dennoch verbreitete »Extremismustheorie«, die auch den Initiativen gegen Rechts zufolge »historisch falsch, wissenschaftlich unsinnig und politisch gefährlich« ist und »die zivilgesellschaftliche Arbeit seit Jahren beeinträchtigt«, indem sie »Faschismus und Antifaschismus gleichsetzt«.

Statt »alternative, nichtrechte Jugendkulturen zu fördern«, die bereits seit Anfang der 90er Jahre unentwegt auf ein sich ungehindert ausbreitendes Neonazi-Milieu hinweisen, pflegen sowohl Politiker von CDU bis SPD als auch die Justiz und die Polizei weiterhin das diffuse Feindbild vom »gefährlichen Extremisten von Links und Rechts«, der das demokratische Staatswesen untergrabe.

So konnte etwa ausgerechnet der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Bernhard Witthaut, der aufgrund der Vielzahl an Versäumnissen seiner Behörde eigentlich gut daran täte, sich mit politischen Einschätzungen zurückzuhalten, vor einigen Tagen im Gespräch mit dem Deutschlandradio weiterhin ungestraft die Propaganda vom im Untergrund Bomben bastelnden Antifaschisten verbreiten. Es sei »dringend erforderlich«, meinte er angesichts von mindestens neun von Neonazi-Terroristen ermordeten Menschen, »uns jetzt nicht nur auf Rechts zu stürzen, sondern wir müssen auch den Linksextremismus da mit einbeziehen«. Wo warum welcher »Linksextremismus« nun verfolgt werden soll, bleibt sein Geheimnis. Journalisten, die einer solch grotesken Gleichsetzung widersprechen, findet man selten.

Kommunisten bekämpfen

Anetta Kahane meint: »Ich hätte gar nichts dagegen, den Linksextremismus zu bekämpfen, wenn es denn welchen gäbe, den man bekämpfen kann.« Der stehe aber »in keinem Verhältnis zu dem, was sich derzeit beim Rechtsradikalismus« tue. Die über Jahrzehnte währende Fehleinschätzung, derzufolge es sich bei jenen, die Neonazismus bekämpfen, um »Linksextremisten« handelt, ist bis heute nicht korrigiert worden. Im Gegenteil: Die Bundesregierung nötigte Projekte, die wichtige antirassistische Präventionsarbeit leisten, zu einer sogenannten »Demokratieerklärung«, mit der sie sich zum Antikommunismus bekennen und ihre Mitarbeiter bespitzeln sollten.

Insbesondere das eklatante Versagen von Familienministerin Kristina Schröder (CDU), die in völliger Verkennung der Realität vor kurzem noch eine angeblich von Migranten ausgehende »Deutschenfeindlichkeit« am Werke sah, wird täglich deutlicher: Das bestehende staatliche Förderprogramm zum Kampf gegen Rechtsradikalismus sollte, wäre es nach ihr gegangen, um zwei Millionen Euro gekürzt werden. Nun hat die CDU gestern Hals über Kopf entschieden, die vorgesehenen Mittelkürzungen rückgängig zu machen. In Niedersachsen, Hamburg, Hessen und Schleswig-Holstein gibt es im übrigen bis heute keine Beratungsstellen, die sich mit Rechtsradikalismus und den Opfern rassistischer Gewalttaten beschäftigen.

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