Die Wehmut des Vergangenen

Jens Wonneberger: Sein Roman »Sture Hunde« ist wie eine Parabel auf jüngste ostdeutsche Geschichte

  • Klaus Funke
  • Lesedauer: 3 Min.

Kann Rost ein Daseinszustand sein? Kann Rost auch klingen, Töne erzeugen? In Wonnebergers »Sture Hunde« atmet alles, was den Handlungsort des Romans, den einsamen und verlassenen Rohrbach'schen Bauernhof auf dem Hügel vor dem Ort, angeht, dieses Rosten - das allmähliche Vergehen. Es webt eine stille Wehmut des Vergangenen in diesem Text. Der Rost - eine Metapher dafür. Sogar die Steine auf den Feldern färben sich rostrot, der Ackerboden nimmt diese Farbe an. Der Wetterhahn auf dem Dach, alles rostet - alles ist im Verschwinden, im Vergehen.

Fast meint man beim Lesen der ersten Seiten den rostigen Wetterhahn beim Spiel mit dem Wind quietschen zu hören, erinnert sich an Sergio Leones Film »Spiel mir das Lied vom Tod«. Ja, das Vergehen, der Tod schimmert durch viele Seiten dieses wunderbar erzählten Buches. Und der Tod ist auch der Ausgangspunkt. Der Tod des Vaters des Haupthelden Martin Rohrbach.

Rohrbach, der an den Ort seiner Kindheit und Jugend zurückgekehrt ist, um den Vater zu beerdigen, wird, ohne dass er es will, aber auch, ohne es zu hindern, mit der Vergangenheit konfrontiert. Seiner Vergangenheit. Scheinbar willenlos, ohne einen erkennbaren Plan, ergibt er sich dem Alten, und stößt auf schlecht verheilte Narben, auf alte Feindschaften und Rivalitäten, auf die alte Liebe ebenso wie auf ungelüftete Geheimnisse. So werden Tage zu Wochen. Rohrbach bleibt und fährt nicht zurück in die Großstadt. Und Wonneberger schafft mit seiner Sprache einprägsame Bilder und eine schier greifbare und dichte Atmosphäre des Wartens, des Aufschiebens, des Ungelösten und Unlösbaren.

Wieder fällt einem Sergio Leones Film ein. Auch dort wird das Aufschieben und Warten zum handelnden, Spannung erzeugenden Moment. Rohrbach, der kein Held, sondern eher, wie für Wonneberger typisch, ein Antiheld ist, scheint mit der voranschreitenden Zeit und allem, was ihn umgibt, mit beinahe allem, auf was er stößt, zu spielen. Er entscheidet sich nicht. Auch das ist ein typisches stilistisches Merkmal des Autors. Seine Helden sind oft passiv und lassen sich treiben. Aber auf diese Weise erzeugt er eine Spannung, die schließlich beinahe unerträglich wird.

Man hätte gleich gehen sollen, damals vor zwanzig Jahren, beschreibt Rohrbachs alter Kumpel Wassili, der jetzt, oh welche Symbolik, den Müll auf einer Deponie verwaltet, die hoffnungslose Lage in dem kleinen vom neuen geeinten Deutschland vergessenen Ort Ahornstein (Wonnebergers Geburtsort Ohorn?). Mit Weggehen ist das Gehen in den verheißungsvollen Westen gemeint. Man habe zwei gesunde Hände, man werde überall gebraucht, hätten sie damals gedacht. Pustekuchen. Heute wissen sie - niemand wird gebraucht.

Auch den Rohrbach, Wonnebergs Helden, braucht keiner. Sein Kommunikationsinstitut, in dem er arbeitet, nicht, die Großstadt, in der anonym lebt, ebenso wenig und ob ihn Linda, die womöglich wegen ihm geschiedene Tochter des alten Widersachers Paul Lindner, ob ihn diese Frau braucht, ob sie zueinander finden werden, bleibt in der Schwebe. Nichts scheint gelöst, auch der vermutete Schatz aus der seinerzeitigen Flucht der Adelsfamilie erweist sich als Phantom, und nichts findet wirklich ein Ende, selbst wenn zum Schluss Erde über die Mülldeponie geschoben wird. Auch als Rohrbach schließlich doch davonfährt, wie ein Westernheld, der in die Abendsonne reitet, und ihm die Bilder seines Heimatdorfes wie ein alter zerkratzter Film vorkommen, sagt man sich: Das Vergangene kommt nicht wieder, es rostet, es vergeht, aber man wird es nicht los. Es ist nicht tot.

Wonnebergers Roman ist wie eine Parabel auf unsere jüngste ostdeutsche Geschichte. Voller Metaphern und mit viel Lebensweisheit angereichert und in einer eindringlichen Sprache geschrieben, die im Leser eine Art Kopfkino erzeugt. Eine Liebeserklärung voller Wehmut und tiefer Innerlichkeit.

Jens Wonneberger: Sture Hunde. Roman. Steidl Verlag. 240 S., geb., 19,90 €.

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