Tour für ein bezahlbares Heim
Radelnder Obdachloser macht auf Wohnungsmisere aufmerksam
Bielefeld/Hamburg (epd/nd). 18 Monate schlief Max Bryan draußen an den Landungsbrücken von Hamburg und hielt, wie über 1000 andere Wohnungslose in der Hansestadt, vergeblich Ausschau nach einer bezahlbaren Wohnung. Dann kehrte er der Hansestadt vor etwa einem Monat den Rücken: Auf einer 800 Kilometer langen Radtour quer durch Deutschland sucht er nun eine dauerhafte Bleibe für maximal 380 Euro Warmmiete monatlich. Im Gepäck hat er nur ein paar Habseligkeiten, ein Handy und seinen Laptop.
Auf seinem Weg wirbt der 36-Jährige für das Onlineprojekt »Wohnungsmelder.org«, eine Initiative, die wohnungslosen Menschen direkten Zugang zu Wohnraum ermöglichen soll. Wer Bryan oder anderen Nichtsesshaften günstigen Wohnraum vermieten will, kann sich auf der Internetseite eintragen. Eine Kölner PR-Agentur unterstützt die Aktion. Sie soll auf die Situation der Nichtsesshaften aufmerksam machen.
Der Wohnungsmarkt sei für Menschen, die ein niedriges Einkommen haben oder gar nur von Sozialhilfe leben, in vielen Großstädten und Kommunen wie »leer gefegt«, beklagt Werena Rosenke von der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe in Bielefeld. Kleine, preisgünstige Wohnungen für ein oder zwei Personen gebe es kaum noch - und wenn, dann nur auf dem Land. Mietervereine schätzen, dass allein in Hamburg 5000 bis 8000 Sozialwohnungen fehlen.
Der negative Trend wird sich nach Ansicht von Rosenke weiter fortsetzen. Schuld sei der Verkauf von staatlichen Sozialwohnungen an private Investoren seit Ende der 90er Jahre, mit dem Kommunen »kurzfristig ihre Stadtkassen füllten«, kritisierte Rosenke. »Der Markt wurde hier mehr oder weniger sich selbst überlassen, Investitionen in neuen sozialen Wohnraum blieben aus.« Die Mietpreise seien vor allem in den Ballungsräumen stark gestiegen.
Gleichzeitig sei die Zahl der Langzeitarbeitslosen konstant geblieben, der Anteil von Beschäftigten im Niedriglohnsektor, die von ihrem Geld allein keine Wohnung bezahlen könnten, sogar stark angewachsen. Bundesweit ist nach den Angaben die Zahl der Wohnungslosen seit 2008 um mehr als zehn Prozent auf aktuell 248 000 gestiegen. Auch die Zahl derer, die ausschließlich auf der Straße lebten, habe sich in den vergangenen Jahren auf 22 000 erhöht.
Ohne Gegenmaßnahmen drohe der Wohnungsmarkt zu kippen, warnt Jan Orlt von der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe. Länder und Kommunen müssten wieder eine Wohnungsbaupolitik betreiben mit verbindlichen Kriterien zur Festlegung der Mietobergrenzen sowie einer verbesserte Prävention von Wohnungsverlusten. Um Räumungsklagen abzuwenden, könnten die Kommunen etwa die Mietschulden übernehmen, die von den Betroffenen später in Raten abbezahlt würden. Auch sei Unterstützung wie Schuldnerberatung, Suchtstellen oder Vermittlung bei Beziehungskrisen wichtig.
Der arbeitslose Max Bryan verlor seine Wohnung, als ihm sein Vermieter nach 15 Jahren wegen Eigenbedarfs kündigte. Seitdem sucht er bislang vergeblich nach einer Zwei-Zimmer-Wohnung. Bryan, der nicht trinkt oder raucht, vermutet, dass viele Vermieter Obdachlosen schlichtweg nicht zutrauen, eine Wohnung in Ordnung zu halten.
Auf seiner Radtour machte der in Hamburg gemeldete Wohnungslose bisher Station in Buchholz, Bad Fallingbostel und Verden in Niedersachsen. Seit Montag hält er sich im nordrhein-westfälischen Minden auf, übernachtet an einem Bootshaus an der Weser. Per Handy setzt sich der gelernte Reiseverkehrskaufmann mit Vermietern, Maklern oder Wohnungsgesellschaften in Verbindung, vereinbart Besichtigungstermine.
In Minden und dem benachbarten Porta Westfalica wird er sich nun sechs Wohnungen ansehen. Bryan ist zuversichtlich. Die Vermieter aus Porta seien aufgrund seiner Aktion gezielt auf ihn zugekommen, erzählt er. Am Reiseziel Bad Nauheim in Hessen will er trotzdem festhalten, ob er vorher eine Wohnung findet oder nicht: »Dort will ich mich mit meiner Mutter aussöhnen, um mit ihr Weihnachten zu verbringen.«
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