Unterkünfte zum Vergrämen

Erster »TÜV« für Flüchtlingsheime in Sachsen

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
In sechs von 30 sächsischen Flüchtlingsheimen herrschen katastrophale Zustände. Das ergab der erste »Heim-TÜV«. Der Ausländerbeauftragte hält die Unterkünfte auf Dauer nicht für menschenwürdig.

Kasernen mit langen Fluren; verkommene Ex-Ferienheime mitten im Wald; Unterkünfte mit schimmligen Küchen: Wer Wohnheime für Flüchtlinge in Sachsen besucht, muss hart im Nehmen sein; wer dort leben soll, ist oft verzweifelt. Die Öffentlichkeit ignorierte das Problem in großen Teilen. Das ist jetzt nicht mehr so leicht: Gestern legte Sachsens Ausländerbeauftragter Martin Gillo einen »Heim-TÜV« für Flüchtlingsheime vor, den ersten bundesweit. Die Ergebnisse sind ernüchternd.

In sechs der 30 Heime herrschen demnach katastrophale Zustände. »Sie sind abgeschlossen«, sagt Gillo unter Verweis auf die rote Ampel, die er nach zwei Besuchen in den Einrichtungen vergab. Bewertet wurden zehn Kriterien, darunter neben dem baulichen Zustand die soziale Betreuung, Bildungsangebote, die Lage oder die Mitwirkungsmöglichkeiten für die Bewohner. Nur fünf Einrichtungen in großen Städten wurden »grün« bewertet. Immerhin: Bei der ersten Visite stufte Gillo neun weitere in der schlechtesten Kategorie ein; danach gab es Verbesserungen. Fünf Heime sollen bald geschlossen werden, darunter drei »Rote«.

Familien in Wohnungen

Gillo lässt keine Zweifel daran, dass er die vom Gesetz als Regelfall vorgeschriebene Unterbringung der Migranten in Gruppenunterkünften auf Dauer als »nicht menschenwürdig« ansieht - »auch in ›grünen‹ Heimen nicht«, betont er. In Sachsen leben drei Viertel der Flüchtlinge, derzeit knapp 3000 Menschen, in Heimen, manche seit Jahren. Familien mit Kindern werden seit 2010 meist dezentral in Wohnungen untergebracht. Diese Möglichkeit favorisiert Gillo generell und wischt auch den häufig vorgebrachten Hinweis auf Kosten vom Tisch: Wenn vier oder mehr Menschen in den Wohnungen lebten, sei das billiger als zentrale Heime.

Eine Teuerungsspirale

Überhaupt zeigt Gillos Bericht, dass Geld nicht allein entscheidend ist: Die miesesten Heime erhalten oft die höchsten Zuschüsse. Die Zustände in den von privaten Betreibern geführten Einrichtungen sind schlechter als in den fünf Häusern, für die Behörden zuständig sind. Allerdings kritisiert Gillo, dass die Zuschüsse des Landes seit zehn Jahren nicht gestiegen sind, obwohl sich etwa Energie massiv verteuert habe. Das setze eine »Teufelsspirale« in Gang: Die Betreiber müssen an anderer Stelle sparen, etwa bei der sozialen Betreuung. Folge seien Apathie oder Aggressivität der Bewohner, Vandalismus oder die Flucht in die Illegalität. Für die Zustände könne man nicht die Migranten allein verantwortlich machen, sagt Gillo: »Für Schädlinge oder Schimmel tragen alle Beteiligten die Schuld.«

Der als Broschüre veröffentlichte »Heim-TÜV« enthält auch Empfehlungen des CDU-Politikers an Regierung und Verwaltungen. So sollten Sozialarbeiter in den Heimen Pflicht werden. Zudem sollten Heimbeiräte eingerichtet, den Bewohnern Arbeitsmöglichkeiten etwa in Werkstätten angeboten und Heime für Vereine geöffnet werden. Zudem solle kleinen Einrichtungen mit 50 bis 100 Bewohnern der Vorzug gegeben werden: »Von den Kasernen müssen wir weg.«

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