Die Linke und der Israelboykott

Ein wohltuend nüchternes Heft über ein aufgeladenes Thema

Es gibt kaum ein anderes Thema, bei dem Linke so weit voneinander entfernt sind, über das derart emotional gestritten und sich gern auch gespalten wird wie den Nahostkonflikt. Im Sommer haben die Gaza-Hilfsflottille und die Boykott-Israel-Kampagne der internationalen Palästina-Solidaritätsszene einmal mehr die Grundfrage aufgeworfen: Was können, was dürfen, was sollen Deutsche, zumal Linke, tun, denken, fordern? Nun ist eine kleine, betont nüchterne Broschüre erschienen, die unaufgeregt und sachlich das Für und Wider eines Israel-Boykotts zusammenträgt.

Zu Wort kommen ein Befürworter und eine Gegnerin der Kampagne, die unter dem Kürzel BDS - Boykott, Desinvestition, Sanktionen - bekannt geworden ist, sowie ein Wissenschaftler, der die Auseinandersetzung darum in die allgemeine deutsche Debatte um Israel, Palästina und die deutsche Geschichte einordnet.

Martin Forberg von der Internationalen Liga für Menschenrechte, der zu den aktivsten Fürsprechern gehört, sieht in der weltweiten BDS-Kampagne einen »Ausweg aus Taten- und Hilflosigkeit«, aus dem Unvermögen, »die Situation wirklich grundlegend in Richtung Gerechtigkeit für alle verändern zu helfen«. Ausführlich stellt er Ziele, prominente Unterstützer und Ergebnisse der Kampagne vor, die aus seiner Sicht ihre Richtigkeit bestätigen. Seine Auseinandersetzung mit den Kritikpunkten - etwa dem geforderten Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge und der historischen Belastung, die Boykottaufrufe gegen Israel haben - bleibt dagegen recht knapp.

Zu den Kritikern gehört Kathrin Vogler. Die in der Friedensbewegung verwurzelte LINKEN-Politikerin verteufelt die Kampagne aber nicht von vorn herein als unerträglich oder antisemitisch, sondern lässt sich darauf ein und diskutiert in ihrem Beitrag, inwiefern Ziele, Schwerpunkte und Aktionsformen der Kampagne idem Anspruch, den Frieden im Nahen Osten voranzubringen, gerecht werden. Voglers Schluss ist dennoch deutlich: Die Aktion befördert die Verständigung nicht. Statt der Linken würden in Israel nationalistische Standpunkte gestärkt. Zudem vermisst sie bei den Kämpfern für die Rechte der Palästinenser die Sensibilität in die andere Richtung, für die Ängste und Interessen von Israel und den Überlebenden der Shoa.

Ergänzt wird diese Gegenüberstellung durch den Leipziger Soziologen Peter Ullrich, der die Sprengkraft des Nahostthemas herausarbeitet. Er trifft ein hartes Urteil: Beim klar entschiedenen Einsatz für die eine oder andere Seite gehe es den jeweiligen Streitern gar nicht um die Entwicklung vor Ort, sondern um sie selbst. Die Diskussion sei Ausdruck spezifisch deutscher Bedürfnisse, Befindlichkeiten und Bewältigungsversuche des Nationalsozialismus, schreibt Ullrich.

Das schließt nicht aus, Boykottaktionen als Mittel gegen die Besatzung zu erwägen. Bei der Entscheidung würde Ullrich aber dagegen stimmen, und zwar aus Angst, dass die Kampagne erfolgreich sein könnte. Angesichts des verbreiteten Antisemitismus in Deutschland und der »Dämonisierungsdynamik« solcher Kampagnen glaubt er nicht, dass die Unterscheidung zwischen israelischer Politik und Juden Bestand haben würde. Das andere Extrem ist in seinen Augen aber auch keine bessere Antwort. Wer den ambivalenten Konflikt einfach nur zugunsten Israels auflöse, generalisiere »den deutschen diskursiven Kontext bis zur Unerträglichkeit«.

BDS: Königsweg der Befreiung oder Sackgasse der Geschichte - Annäherungen an eine aktuelle Nahostdiskussion, AphorismA Verlag Berlin 2011, 42 Seiten, fünf Euro.

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