Sitzweite oder Steinwurfweite

Zum dritten Mal ruft ein Bündnis in Dresden für den Februar zu Blockade von Naziaufmärschen auf

  • Hendrik Lasch, Dresden
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Bündnis »Dresden nazifrei!« mobilisiert für den 18. Februar 2012 erneut zu Blockaden eines Naziaufmarschs in Dresden und rechnet trotz Repression mit 20 000 Teilnehmern.

Das Schild ist eindeutig: »Möwen verboten!«, signalisiert es mit stilisiertem Meeresvogel in einem roten Kreis hinter rotem Balken. Die Vorschrift ist das eine, die Realität eine andere. Auf dem Schild sitzt, vom Wind gezaust, eine Möwe.

Mit dem humorvollen und eindeutigen Motiv wird für einen Ende Januar stattfindenden Kongress zum Thema »ziviler Ungehorsam« in Dresden geworben, der gewissermaßen die theoretische Basis für ein Ereignis drei Wochen später liefern soll. Für den 18. Februar ruft das Bündnis »Dresden nazifrei!« erneut zur Blockade eines Naziaufmarsches auf, dessen vorgeblicher Anlass der Jahrestag der Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945 ist. Der Aufmarsch hatte sich seit Ende der 90er Jahre zu einem europaweiten Großereignis der rechten Szene entwickelt. Das Bündnis will ihn zum dritten Mal in Folge stören und möglichst unterbinden. »Uns eint das Ziel, den Naziaufmarsch durch Massenblockaden zu verhindern«, ist im Mobilisierungsaufruf zu lesen.

Das Bündnis könne dabei trotz Gegenwinds auf viel Unterstützung bauen, sagt Mitorganisator Benjamin Künning. Die Blockaden seien zum »Selbstläufer« geworden; für den Aufruf, der gestern veröffentlicht wurde, gebe es eine »Welle an Erstunterzeichnern«, zu denen die »Aktion Sühnezeichen« ebenso gehört wie die »Toten Hosen« oder Minister und Oberbürgermeister - die aber aus Thüringen kommen.

In Sachsen sehen sich die Blockierer starken Repressionen ausgesetzt, klagt Künning. Verwiesen wird auf die flächendeckende Abfrage von Handydaten im vergangenen Februar, Anfragen von Ermittlern bei Busunternehmen, die Demonstranten beförderten, sowie Verfahren gegen Blockierer, wie es heute eines am Amtsgericht geben wird, und die vorige Woche bekannt gewordene Anklage gegen den Jenaer Jugendpfarrer König. Teilweise sähen sich Gegner des Naziaufmarschs dadurch freilich sogar bestärkt, sagt Künning und verweist auf einen einstimmigen Unterstützungsbeschluss, den ein Bundesparteitag der SPD kürzlich fasste. Das Bündnis rechnet daher wie 2011 erneut mit 20 000 Teilnehmern.

Begrüßt wird vom Bündnis der Versuch der Stadt, neben der bislang zweimal am 13. Februar organisierten Menschenkette zum ersten Mal eine Großdemonstration am Tag des Naziaufmarschs auszurichten. Mit den Vorbereitung befasst sich eine Arbeitsgruppe, zu der das Bündnis aber nicht eingeladen wurde. Die Bemühungen, eine Demo mit bis zu 50 000 Teilnehmern auf die Beine zu stellen, unterstütze man, sagt Bündnissprecher Paul Tschirmer. Dies sei ein »weiteres Angebot und kein Gegenkonzept«. Abzuwarten bleibe, ob der Anspruch verwirklicht wird, erstmals Protest in Sicht- und Hörweite zu ermöglichen. Zugleich macht das Bündnis aber klar, dass ihm der Anspruch »nicht weit genug geht«, wie Künnig formuliert: »Wir wollen Protest in Sitzweite.« Ob das gelingt, bleibt abzuwarten. Die Polizei machte bereits deutlich, dass Blockaden nicht geduldet werden. Zwar erklärte der neue Dresdner Polizeichef Dieter Kroll, man werde nicht noch einmal versuchen, Nazis und Gegendemonstranten durch die Elbe zu trennen. Allerdings würden gegen Blockaden dennoch »alle erlaubten und verhältnismäßigen Mittel« eingesetzt.

Kroll, dessen Vorgänger Dieter Hanitsch im Zuge der Handydatenaffäre vom CDU-Innenminister gefeuert worden war, geht derweil davon aus, dass es 2012 bei Protesten gegen den Naziaufmarsch »wieder Krawalle geben« werde. Protest müsse in Hör- und Sichtweite, »aber nicht in Steinwurfweite«, stattfinden. Beim Bündnis werden die Äußerungen, die in einem Zeitungsinterview fielen, als »kontraproduktiv« angesehen. Der LINKE-Stadtchef Tilo Kießling kritisiert, ein Interview, das Gewalt in den Mittelpunkt stelle, sei »geeignet, diese erst herbeizureden«. Zugleich würden »notwendige Widerstandsformen kriminalisiert«.

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