Mehr als 100 000 weggezaubert

Statistik-Tricks: Langzeitarbeitslose über 58 werden nicht mehr mitgezählt

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 2 Min.
Eine parlamentarische Anfrage der Grünen hat ergeben, dass die Bundesregierung mehr als 100 000 ältere Arbeitslose einfach aus der Statistik verschwinden lässt. Nun ist die Aufregung groß. Dabei ist das Herausrechnen der Älteren bei weitem nicht die einzige Methode, um die Erwerbslosenstatistik zu frisieren.
Erwischt: Eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion ergab, dass die Bundesregierung die offizielle Arbeitslosenstatistik aufhübscht, indem sie eine ganze Betroffenengruppe quasi versteckt. Wie die »Süddeutsche Zeitung« am Freitag berichtete, hätte die Antwort der Bundesregierung ergeben, dass etwa 105 000 ältere Menschen bei der Bundesagentur für Arbeit registriert sind, ohne in der Erwerbslosenstatistik aufzutauchen.

Würde man die Betroffenen in die Arbeitslosenquote der Bevölkerungsgruppe zwischen 55 und 64 Jahren einbeziehen, stiege die Rate von 8,0 auf 9,7 Prozent. Damit wäre beinahe jeder Zehnte in dieser Altersgruppe arbeitslos.

Doch wo bleiben die mehr als 100 000 Menschen? Die Betroffenen verdanken ihre statistische Nicht-Existenz der Großen Koalition. Union und SPD hatten im Jahre 2008 beschlossen, dass Menschen, die mindestens 58 Jahre alt sind und länger als 12 Monate ohne Jobangebot Hartz IV beziehen, nicht mehr als arbeitslos geführt werden. Stattdessen parkt man sie in der »Unterbeschäftigungsstatistik«.

Aus der Antwort des Bundesarbeitsministeriums an die Grünen geht indirekt auch hervor, dass sich die Situation älterer Arbeitsloser verschlechtert hat. So fielen im November 2011 rund 105 000 Betroffene unter die fragwürdige Sonderregelung. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutete dies einen Anstieg um 16 Prozent.

Doch die 105 000 sind nur ein Teil des unsichtbaren Arbeitslosenheeres, wie ein Blick in den 85-seitigen Monatsbericht Oktober der BA zeigt. So heißt es dort, dass sich »1,15 Millionen Personen in einer von Bund oder Bundesagentur für Arbeit geförderten arbeitsmarktpolitischen Maßnahme« befanden. Der Trick dabei: Wer eine solche Maßnahme absolviert, verschwindet aus der Statistik.

Ebenso unauffällig verschwindet, wer einen Ein-Euro-Job hat, krankgeschrieben ist oder nicht mindestens 15 Stunde pro Woche arbeiten kann. Hinzu kommt noch eine »stille Reserve«. Dazu zählen Menschen, die zwar erwerbsbereit sind, sich aber nicht als arbeitssuchend oder arbeitslos melden. Es gibt seriöse Schätzungen, die jene Reserve auf mehr als eine Millionen Menschen taxieren. Kein Wunder, dass die registrierte Arbeitslosigkeit im Oktober lediglich 2,74 Millionen betrug.

Der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Ulrich Maurer, brachte die Sache gestern auf den Punkt. Die arbeitsmarktpolitischen Erfolge der Bundesregierung, so Maurer, »entpuppen sich bei näherem Hinsehen als eine üble Mischung aus Taschenspielertricks und Vermittlung in prekäre Beschäftigung«.

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