Von Abgründen

Philosophy Slam beim Brechtfestival Augsburg

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 2 Min.
Brecht
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Uneingeweihte mögen staunen, was Augsburg bisweilen kulturell zu bieten hat. »Brechtstadt« nennt sie sich mittlerweile. Im Geburtshaus Bertolt Brechts etwa ist ein Informationszentrum zu Leben und Werk des großen Autors untergebracht. Wer forschen will, findet hier das zweitwichtigste Brecht-Archiv, das vor allem Material zu seinen jungen Jahren enthält. Und im dritten Jahr hintereinander findet hier das Brechtfestival statt, an elf Tagen. Das Programm bringt Prominenz aus den Künsten, aus Wissenschaft und Politik in die bayerisch-schwäbische Großstadt.

Darin auch: ein »Philosophy Slam«! Analog zu Poetry-Slams sollten philosophische Gedanken vorgetragen werden, angekündigt wurde »die Lebendigkeit des philosophischen Denkens live auf der Bühne«. Überraschend der Veranstaltungsort: der pompöse Goldene Saal des Rathauses mit goldfarbenem Stuck an den hohen Wänden. Deutlich über 300 Menschen füllten den Saal fast bis auf den letzten Platz und würden laut Programm-Faltblatt interessante Leute zu hören bekommen. Etwa einen Studienabbrecher, der »in die Wirtschaft ging«, bald zum Millionär wurde, »nach zwei Jahren an den Spieltischen der Casinos dieser Welt wieder pleite war« und mittlerweile das angeblich teuerste Buch der Welt veröffentlicht haben soll. Oder einen Landwirt, der als »Interessenschwerpunkte« Lyrik, Kirchenarchitektur und Zeichnen angibt. Auch ein Computerexperte, der mit »semantischen Netzwerken« experimentiert.

Die sieben Vorträge waren unterschiedlich in Ton und Qualität. Den angekündigten Brecht-Bezug, dessentwegen der Slam Teil des Festivalprogramms ist, boten die wenigsten. Ein Lichtblick immerhin die Gewinnerin des Jurypreises. Ihre assoziative und schauspielerisch vorgetragene Kritik an »Abgründen der Konsumgesellschaft« unter dem Titel »An die Nachgeborenen« enthält mehrere Zitate aus dem Brecht-Gedicht, die sie mit dem harten Akzent des Autors vorzutragen wusste.

Der zweite Vortrag mit Brecht-Bezug gewann mit Abstand, wie die Applauswertung zeigt, den Publikumspreis: Der Ausgburger Brecht-Experte Michael Friedrichs kritisiert scharf den Umgang der Stadt mit Brecht - was zwar mit Philosophie, selbst im weitesten Sinne, zwar wenig zu tun hat, aber ankommt. Immerhin sorgte er für einen der wenigen Lichtblicke des Abends, als die Jury in der Besprechung seines Vortrags vergnügt die Borniertheit der Augsburger geißelte.

Unterhaltsam immerhin der angebliche Ex-Millionär, der in zwei »Lektionen« die Evolutionstheorie abkanzelte und mit der These, im größtenteils unerkannten Universum sei »alles mit allem verbunden«, Wissenschaftsfeindlichkeit predigte. Halbwegs sympathisch noch der Computerexperte, der die mangelnde Sichtbarkeit der gesellschaftlichen Klassen beklagte und naiv auf Ratingagenturen eindrosch ...

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