Gewalt zeugt Gewalt

»Captive« von Brillante Mendoza und das Regiedebüt von Angelina Jolie

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.
Eine Geisel ... umzingelt von Militärstiefeln ... ein gehetztes Telefonat - Isabelle Huppert in »Captive«
Eine Geisel ... umzingelt von Militärstiefeln ... ein gehetztes Telefonat - Isabelle Huppert in »Captive«

Manche Filme bereiten einem eine erhebliche Unlust. Aber vielleicht liegt gerade darin ihre Qualität? So ging es mir bei »Captive«, einem Film über muslimische Terroristen, die eine Ferienanlage auf einer philippinischen Ferieninsel überfallen und zwölf ausländische Geiseln nehmen, um Lösegeld zu erpressen. Ein authentischer Fall von 2001. Das Martyrium der Entführten dauerte über ein Jahr, einige wurden auf bestialische Weise getötet. Wir haben teil an einem zweistündigen Exzess aus Gewalt und Angst. Warten auf Befreiung, immer wieder fragwürdige Arrangements der Entführten mit den Entführern.

Zwei Stunden lang ziehen die Entführer mit ihren Geiseln durch den Urwald, immer wieder gibt es Schießereien mit der Armee, die sie verfolgt, immer wieder taucht die Gruppe im Urwald unter. Ein ständiger Wechsel aus Lärm und Geräuschen des Urwalds, dessen Schönheit immer nur für Momente in den Blick kommt.

Die Handlung tritt auf der Stelle, es kreist, man kommt nicht vorwärts - denn die Situation ist Tag für Tag die gleiche. Das prägt die schwer erträgliche Atmosphäre von »Captive«. Es ist kein großer Film, dafür erfahren wir zu wenig über die Menschen, die das hier anderen antun, aber immerhin ein konsequenter. Er bleibt in der Szenerie der ewig gleichen Gewalt. Kaum vorstellbar, wie Menschen das länger als ein Jahr aushalten konnten.

Isabelle Huppert spielt eine der entführten Frauen, eine Entwicklungshelferin. Diese Schauspielerin sucht immer wieder das Risiko, dringt in eigentlich unspielbare Bereiche vor. Mit ihren Augen beobachten wir Entführer und Entführte. Was sagt man zu einer der Entführten, die noch nicht ahnt, was man selbst schon weiß, dass ihr Mann soeben enthauptet worden ist? Die Huppert kann das Ungeheuerliche ausdrücken, mit dem ihr eigenen präzisen Minimalismus und jener an Heiner Müller (den sie Frankreich popularisiert hat) geschulten Kälte.

Fanatismus, Menschenverachtung, rücksichtslose Gier, Hass auf die eigene Regierung - das ist es, was die Entführer antreibt. Im Grunde sind wir hier längst Teil eines Bürgerkrieges, der sich internationalisiert. Da geht es nicht nur um den Hass von radikalen Muslimen auf Christen, sondern darum, Entwurzelte im eigenen Land zu sein. Und da geraten wir sofort auf das weite Feld der Weltpolitik. Regisseur Brillante Mendoza fokussiert den Blick auf diese kleine Gruppe von Menschen verschiedenster Herkunft - und hat damit einen Mikrokosmos geschaffen, der nur das vorwegnehmend abbildet, was uns im weltpolitischen Maßstab droht, wenn es keinen Ausgleich der Entwicklungschancen gibt: Terror ebenso wie einen blindwütigen Weltbürgerkrieg.

Die Monotonie der ewiggleichen Gruppenszene, aus der nur selten - und dann kurz - ein Einzelner hervortritt, ein Charakter sichtbar wird - das ist ein Stilmittel dieses Films. Gewalt nivelliert alles.

Und ich denke an jenen Film, der einen ganz anderen Weg beschritt, eine ähnliche Gruppendynamik von Macht und Ohnmacht zu zeigen: Angelina Jolies »In the Land of Blood and Honey«, der außerhalb des Wettbewerbs gezeigt wurde. Ein Film über den Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina, der 1993 in einer Orgie der Gewalt kulminierte. Ein serbischer Offizier verliebt sich in einer Disko in eine junge bosnische Frau - aber schon an diesem Abend explodiert hier eine Bombe. Beide treffen sich in anderer Konstellation wieder: Er als Wachoffizier in einem Internierungslager für Muslime und sie als Insasse.

Jolie hat mit ihrem Regiedebüt einen großen Medienrummel ausgelöst. Bei der Pressekonferenz von Christian Petzolds »Barbara« saßen dann auch viele Journalisten, die gar nicht zuhörten, sondern nur Plätze für die darauf folgende Pressekonferenz mit Angelina Jolie besetzten. Die flüchtete sich dann in Allgemeinplätze, wenn sie über historische Hintergründe zum Film gefragt wurde.

Dieser zeigt die Serben als Massenvergewaltiger und mit sardonischem Lächeln. Die simple Schwarz-Weiß-Logik befremdet angesichts eines höchst widersprüchlichen politischen Auflösungsprozesses von Jugoslawien. Und dann die obskure Liebe zwischen dem serbischem Offizier und der jungen bosnischen Frau. Das ist Hollywood-Kino (Gefühlskino nennt man das wohl), auf den Balkan verlegt. Die Auflösung eines differenziert zu betrachtenden Dramas in Bosnien-Herzegowina in pure Sentimentalität. Ein Kino aber der aufgeputschten Emotionen scheint mir gerade bei diesem Thema noch verkehrter als bei anderer Gelegenheit.

Da ist dann der fast schon dokumentarische Blick von Brillante Mendoza in »Captive« auf die schicksalhafte Verbindung von Entführern und Entführten, auf diesen Elendszug aus Schmutz, Hoffnung und Gewalt sehr viel genauer - und letztlich auch ehrlicher.

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