Betrifft: Aktion 3

Alte Finanzamtsakten aus NRW belegen, wie Deutsche einst ihre jüdischen Nachbarn beraubten

  • Irene Dänzer-Vanotti, epd
  • Lesedauer: 3 Min.
Viele Deutsche beteiligten sich in der NS-Zeit ohne Skrupel an der »Arisierung« jüdischen Vermögens - und viele bereicherten sich. Das zeigt eine Ausstellung in Düsseldorf.

Düsseldorf. Das Besteck, der Pelzmantel und das Ticket für die Überfahrt nach New York: Die Familie Levi aus Köln war wie alle Juden im Deutschen Reich gezwungen, vor ihrer Deportation ihr gesamtes Hab und Gut für das Finanzamt aufzulisten. Die Levis erreichten das Schiff allerdings nicht mehr. Die Familie wurde umgebracht.

Das Finanzamt Köln aber bemühte sich 1941, von der Schifffahrtsgesellschaft den Geldwert der verfallenen Tickets zu bekommen. Der Besitz der Familie wurde enteignet und versteigert. Davon profitierten Beamte, die die Werte kannten, Käufer und Auktionshäuser. Geschichten wie diese dokumentiert die Ausstellung »Aktion 3 - Deutsche verwerten ihre jüdischen Nachbarn«, die Anfang Februar in der Düsseldorfer Volkshochschule eröffnet wurde. »Am Raub an jüdischen Opfern beteiligten sich viele Deutsche ohne Skrupel«, sagt der Ausstellungsmacher und Politologe Wolfgang Dreßen.

Im Herbst 1941 begannen die systematischen Deportationen jüdischer Menschen aus dem Reich in die Konzentrations- und Vernichtungslager. Vor ihrem Abtransport mussten sie Listen ihres Besitzes erstellen. Die Finanzämter, so Wolfgang Dreßen, nahmen diese Listen an sich, ließen durch Gerichtsvollzieher die freien Wohnungen versiegeln und gaben dann Möbel, Kleidung, Küchengerät und Kunstwerke zum Verkauf frei. Die Wohnungen wurden wieder vermietet. »Der Wohlstand der Deutschen während des Krieges ist zum großen Teil auf diesen Raub an der jüdischen Bevölkerung zurückzuführen«, sagt Bastian Fleermann, der Leiter der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte, die die Ausstellung zu einem weithin verdrängten Kapitel des Nationalsozialismus organisierte. An der »Aktion 3«, dem »kalten, bürokratischen Prozess«, waren laut Fleermann »normale Bürger in ihren Berufen beteiligt«. Beispielsweise der Straßenbahnschaffner, der den Juden vor ihrer Deportation die Fahrkarte zum Bahnhof ausstellte. Oder der Hausmeister, der die verlassene Wohnung verwaltete, die Sekretärin im Finanzamt, die die Liste des Eigentums abtippte, die Bankbeamten, die dafür sorgten, dass das Geld auf den Konten an den Staat fiel. Sie alle trugen wissentlich zum Raub an den Juden bei.

Für die Ausstellung wertete Dreßen, der frühere Leiter der Arbeitsstelle Neonazismus der Fachhochschule Düsseldorf, zum ersten Mal die Akten der Finanzämter Düsseldorf und Köln aus. Dabei zeigte sich auch eine Kontinuität: Dieselben Finanzbeamten, die für die Verteilung jüdischen Eigentums sorgten, waren nach dem Krieg für die Anträge der überlebenden Opfer auf Wiedergutmachung zuständig.

Einen positiven Effekt hatte die Ausstellung schon vor ihrem Beginn: Dank Dreßens Recherchen fanden die Nachfahren der ermordeten Familie Levi wenigstens die letzte Spur ihrer Verwandten in Köln wieder.


778 Millionen Reichsmark

Das Reichsfinanzministerium erließ unter der Bezeichnung »Aktion 3« im Herbst 1941 Anweisungen, wie das Vermögen der deutschen Juden, die deportiert werden sollten, einzuziehen sei. Ab Oktober 1941 führte die Gestapo die Deportationen durch. Die faschistischen Behörden forderten Vermögensverzeichnisse ab, versiegelten die Wohnungen, übernahmen die Schlüssel. Die Einziehungsverfügungen wurden den Juden von Gerichtsvollziehern zugestellt. Die durch »Aktion 3« erzielten Einnahmen, die aus der Verwertung des in den Wohnungen zurückgelassenen Inventars und dem Einzug des Restvermögens stammten, werden auf rund 778 Millionen Reichsmark beziffert. (nd)

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