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FDP führt Merkel vor

Der Kandidatenstreit könnte weitreichende Folgen für Schwarz-Gelb haben

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.
Die FDP hat in der Personalie Joachim Gauck einen Machtkampf mit Bundeskanzlerin Angela Merkel gewagt - und diesen gewonnen. Aus Unionskreisen wird den Liberalen nun Vertrauensbruch vorgeworfen.

Regierungssprecher Steffen Seibert versuchte gestern, die Wogen zu glätten. Dass die Koalition sich am Sonntagabend gemeinsam mit SPD und Grünen auf den Bundespräsidentenkandidaten Joachim Gauck geeinigt hatte, bezeichnete er als »gutes Ergebnis für die Koalition, die Bundesregierung und das Land insgesamt«. Doch dieses Statement konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Debatten über die Personalie Gauck die Bundesregierung an den Rand des Scheiterns gebracht hatten.

Denn während sich die FDP auf die Seite von SPD und Grünen geschlagen hatte, wollte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Kandidatur des evangelischen Theologen aus Rostock verhindern. Politisch steht ihr Gauck zwar in vielen Punkten nahe, aber mit einem Votum für ihn droht Merkel als Verliererin dazustehen, die dem im Jahr 2010 gegen ihren Favoriten Christian Wulff gescheiterten rot-grünen Kandidaten nun den roten Teppich ausrollen muss.

Dass ihr letztlich nichts anderes übrigblieb, lag vor allem an dem großen Druck, den der schwächelnde Koalitionspartner auf die Union ausübte. FDP-Chef und Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler hatte sich - unterstützt unter anderem von Fraktionschef Rainer Brüderle und dem schleswig-holsteinischen Spitzenkandidaten Wolfgang Kubicki - für Gauck starkgemacht. Am Sonntagnachmittag folgte ein Vieraugengespräch zwischen Merkel und Rösler. Der FDP-Chef, dem sein Generalsekretär Patrick Döring vor einigen Wochen noch attestiert hatte, er sei kein Kämpfertyp, konnte sich durchsetzen. Um ein Auseinanderbrechen der Regierung zu verhindern, musste Merkel schließlich einlenken.

Trotzdem bleibt die Situation zwischen den Koalitionspartnern angespannt. Weitgehend wirkungslos blieb der Appell von CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe an seine Parteikollegen, »nicht öffentlich nachzukarten«. Etwa CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach reagierte beleidigt auf das Verhalten der Liberalen. »Die FDP vertritt offenbar die Auffassung, sie könne auch ohne die Union zu einer Entscheidungsfindung beitragen. Die Union wird das bei einer sach- oder bei einer personalpolitischen Entscheidung in Zukunft auch einmal genauso sehen«, sagte er dem Fernsehsender n-tv. Unionsfraktionsvize Michael Kretschmer (CDU) prophezeite gegenüber der »Leipziger Volkszeitung«, dass das Vorgehen der FDP schwere Folgen für die Koalition haben werde. Den Liberalen warf er einen »gewaltigen Vertrauensbruch« vor.

Die FDP genoss dagegen ihren Erfolg und wies die Vorwürfe aus der Union vehement zurück. Entwicklungsminister Dirk Niebel imaginierte sogar eine »vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Koalition«.

Die Liberalen hoffen nun nach dem Gauck-Coup, vor allem von den Medien wieder ernst genommen zu werden. Dies gilt insbesondere für den Springer-Verlag, der schon seit Langem für den rechtskonservativen Scharfmacher Joachim Gauck wirbt. Etwa im Sommer 2010 mit der Schlagzeile in der »Bild-Zeitung« »Yes we Gauck«. Nach dem Rücktritt von Christian Wulff legte das Boulevardblatt nach. »54 Prozent wollen Gauck«, war kürzlich auf der Titelseite der »Bild am Sonntag« zu lesen. Nicht gerade überraschend lobte der Chef des Springer-Konzerns, Mathias Döpfner, nun in der »Bild-Zeitung« die »Standhaftigkeit der FDP und ihres Vorsitzenden Philipp Rösler«.

Um bei der Wahl des Bundespräsidenten eine sichere Mehrheit in der Bundesversammlung zu haben, mussten Union und FDP einen gemeinsamen Kandidaten mit SPD und Grünen suchen. Die LINKE war hierbei ausgeschlossen worden. Für sie ist Gauck auch weiterhin nicht wählbar. Parteichef Klaus Ernst kritisierte, dass Gauck »die Bürgerrechtsbewegung unserer Zeit« ignoriere und an der Seite der Herrschenden stehe. Der Ostdeutsche hatte die Occupy-Proteste gegen Banken als »unsäglich albern« bezeichnet.

SPD und Grüne hatten Gauck einst aufgestellt, um einerseits die LINKE als Partei der Ewiggestrigen diffamieren und andererseits einen Keil zwischen Befürworter und Gegner des Theologen in der schwarz-gelben Koalition treiben zu können. Dies scheint nun verspätet gelungen zu sein. »Die Regierung kann nicht mehr selbstständig handeln. Es geht ein tiefer Riss durch die Koalition«, frohlockte Grünen-Chef Cem Özdemir. Andererseits müssen sich Sozialdemokraten und Grüne nun intensiver mit Gaucks politischen Ansichten auseinandersetzen, die oft im Widerspruch zu ihren eigenen Vorstellungen stehen. SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte bezüglich Gaucks Diffamierungen sozialer Proteste schon einmal vorsorglich, er habe keine Probleme damit, wenn der Theologe »nicht sozialdemokratische Hauspropaganda vertritt«.

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