Zug pünktlich, Anschluss verpasst

Was die Statistiken der Deutschen Bahn aussagen und was sie verschweigen

  • Erich Preuß
  • Lesedauer: 2 Min.
Pünktlichkeit ist ein Zeichen von Qualität, dies gilt gerade für die Bahn. Die offiziellen Statistiken dazu sind jedoch mit Vorsicht zu genießen.

Die Deutsche Bahn (DB) wird in der Pünktlichkeit ihrer Reisezüge immer besser. Im Januar dieses Jahres, meldete sie kürzlich, fuhren bei der »Fünf-Minuten-Pünktlichkeit« 96,5 Prozent der Züge laut Fahrplan - gegenüber 93,8 Prozent im Dezember 2011. Im Fernverkehr waren es 86,4 Prozent (Vormonat: 84,5 Prozent) und im Nahverkehr 96,7 Prozent (Vormonat: 94 Prozent). Das reduzierte Baugeschehen und das niedrigere Aufkommen im Güterverkehr, sicherlich auch die Gunst des Wetters hätten dazu beigetragen, hieß es von Seiten der Bahn.

In der DB-Statistik fallen jene Züge unter den Tisch, die sich weniger als sechs Minuten verspäteten. Ginge es um die Verspätung von mehr als einer Minute an, wäre im Fernverkehr nur jeder dritte und im Nahverkehr nur jeder zweite Zug pünktlich gewesen. Bahnintern soll es eine solche Aufstellung geben.

Mancher wird sagen: Was sind schon ein paar Minuten Verspätung, wenn ich im ICE von Karlsruhe nach Berlin reise? Reisende, die einen Anschlusszug mit knappen Übergangszeiten erreichen müssen, denken darüber freilich anders. Dieser wartet vielfach nicht, wie das früher der Fall war. Indem die Infrastruktursparte DB-Netz die Wartezeiten strich, verbesserten sich die Pünktlichkeitswerte der Züge - zum Ärger derjenigen, die ihren Anschluss verpassten. Diese jedem Kundendienst abträgliche Regelung wird in Sachsen und Baden-Württemberg noch nicht, wohl aber in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen durchgesetzt.

Zu beobachten ist auch der Wegfall jenes Grundsatzes, der jedem Eisenbahner-Lehrling früher eingetrichtert wurde: Angesichts eines einfahrenden Zuges darf der Anschlusszug nicht abfahren! Bei der Deutschen Bahn kann man aber immer öfter nur noch die Schlusssignale der Anschlusszüge sehen. Und das ist nicht verwunderlich auf Bahnhöfen ohne Personal und bei Zügen ohne Schaffner. Wer soll den Lokführer aufhalten, der nur noch auf freie Ausfahrt und den Zeigersprung der Uhr wartet?

Diese Unfreundlichkeit gegenüber den Kunden setzt sich schon mit der fortschreitenden Automatisierung des Zugbetriebs durch. Signal frei - Abfahren! Alles Andere stört die betriebsinternen Abläufe. Vorbeugend werden im elektronischen Fahrplan wie in den Geräten, die das Zugpersonal benutzt, Anschlusszüge mit kurzen Übergangszeiten nicht mehr angezeigt. Zum gegenüberliegenden Bahnsteig ist es nur ein Sprung zum Zug, doch Lautsprecherdurchsage und Faltblatt nennen erst den folgenden Zug. Wer nicht den Laptop mit sich herumschleppt, kann sich über solche Gelegenheit der Reisezeitverkürzung nicht mehr informieren. Das Kursbuch ist ja abgeschafft worden ...

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