Erfahrungen eines Sommers

FABIO GENOVESI über eine Toskana, die man nicht kennt

  • Antje Stiebitz
  • Lesedauer: 3 Min.

In dem kleinen toskanischen Dorf Muglione gibt es eigentlich kaum etwas. Schon gar nichts worüber man schreiben könnte, meint man. Einige wenige Häuser, die zahlreichen Kanäle verbreiten einen dumpfen Geruch; kaum ein ansprechendes Café. Hier ist die Zeit stehengeblieben, ein Tag gleicht dem anderen - die Welt weiß nichts von Muglione und Muglione nichts von der Welt. Das wird sich jetzt ändern, denn der junge Drehbuchautor Fabio Genovesi »wollte über eine Toskana schreiben, die man nicht kennt, die man nicht sieht und über die niemand spricht«. Und das ist ihm gelungen.

Genovesi nimmt sich viel Zeit, um den Leser in die Sphäre seiner Protagonisten einzuführen. Da ist Fiorenzo, dem eine Hand fehlt, der kurz vor dem Abitur steht, aber lieber angelt und mit seiner Heavy-Metall-Band probt. Da ist Tiziana: Mit einem Master in Personalmanagement sitzt sie in der Jugendinfo von Muglione, die nur von Alten besucht wird. Und Mirko, ein Radsporttalent, der entweder verehrt oder gehasst wird.

Einen Sommer gibt Genovesi den Dreien. Einen Sommer, in dem sie sich kennenlernen, aneinander reifen. Meist ist es Fiorenzo, der aus seiner Sicht erzählt und innere Monologe führt - flapsig ironisch oder philosophisch. Fiorenzo erscheint als Alter Ego Genovesis, der selbst leidenschaftlicher Sportfischer ist, als freier Redakteur über Musik schreibt und den Radsportnachwuchs trainiert, was in Fiorenzos Vater Ausdruck findet, der allein für den Radsport lebt.

Genovesi achtet auf Details, gibt der Vergangenheit Raum, fabuliert. Der Leser erfährt, wie Fiorenzo seine Hand verlor und wie Mirko flüchtend sein erstes Rennen fuhr. Dass Tiziana nach ihrem Auslandsaufenthalt nur wieder nach Muglione kam, um ihr Wissen in der Heimat weiterzugeben. Doch jetzt schämt sie sich für ihr Dorf und langweilt sich entsetzlich. Als sich die Drei, durch eine Verkettung von Ereignissen langsam kennenlernen, kommt Dynamik ins beschauliche Provinzleben. Fiorenzo bekommt seinen ersten Kuss von Tiziana und verliebt sich. Tiziana braucht erst einmal Zeit, denn Fiorenzo ist ihr viel zu jung. Und der kleine Champion Mirko - von Fiorenzo angestiftet - will endlich ein Radrennen verlieren. Als er tatsächlich verliert, erkennt er, dass er künftig nur noch siegen will. Fiorenzo, der mit Mirko um die Liebe seines Vaters konkurriert, hatte bislang nur Verachtung für den Rad-Champion übrig. Doch allmählich entwickeln sich zwischen den beiden freundschaftliche Gefühle. Und Tiziana? Sie entscheidet sich vorerst einmal für Fiorenzo, obwohl sie nicht weiß, ob sie in Muglione bleiben will.

Seine Protagonisten fragten sich, so Genovesi, ob ihr Leben tatsächlich einem Fluss gleicht oder nicht eher einem Kanal. Aber irgendwie versuchten sie eben mit den schwierigen Gegebenheiten zurechtzukommen. »Fische füttern« erzählt von Stagnation und Aufbruch, von Liebe, Freundschaft und von Leidenschaften wie Angeln oder Radfahren. Wir lesen vom richtigen Köder, nehmen Teil an guten Gesprächen und erfahren von Monstern, die unter der Wasseroberfläche lauern. Ein Roman über echte Gefühle, über Trennung und Abschied. Das Auf und Ab des Lebens im Blick - manchmal skurril, selten pathetisch, doch immer voller Lebensweisheit und Lebensmut.

Am Ende haben Fiorenzo, Tiziana und Mirko einen neuen Lebensabschnitt erreicht, haben Freundschaft erfahren, geliebt, gekämpft und - jeder für sich - Entscheidungen getroffen. Persönliche Lebensdramen, die sich nur nach und nach entwirren lassen. Womöglich kann der Mensch Wandel besser scheibchenweise verdauen. Immer von kleinen alltäglichen Ritualen und Gegebenheiten aufgefangen, damit die Veränderungen nicht umwerfen. Kleines im Großen integriert und umgekehrt. Fabio Genovesi gelingt es auf charmante Weise, die Welt in Muglione zu verankern und Muglione in der Welt. Eine Toskana abseits ausgetretener Urlaubspfade.

Fabio Genovesi: Fische füttern. Roman. A. d. Ital. v. Rita Seuß u. Walter Kögler. Lübbe. 425 S., geb., 19,99 €.

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