MOSEKUNDS MESSE

QUAL DER WAHL

Herr Mosekund beobachtete interessiert die Wirkung von aufrüttelnden Manifesten und Streitschriften und stellte fest, dass zwar alle deren Titel kannten, kaum jemand aber den Inhalt der Texte. Diese Mühe kann ich mir also sparen, dachte er, und schrieb die seiner Ansicht nach wichtigsten Forderungen, mit denen er sich in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen gedachte, auf Plakate: »Benehmt Euch!«, »Beeilt Euch!«, »Verpisst Euch!«, »Beherrscht Euch!« und »Untersteht Euch!« Die Plakate stellte an die Garderobe im Flur, um sie für seine Streifzüge jederzeit griffbereit zu haben. Als er sich wieder einmal auf den Weg machen wollte, stand er nachdenklich vor den Schildern. Am liebsten hätte er alle mitgenommen. Ich brauche eine Entscheidungshilfe, dachte er, holte einen großen Bogen Papier, befestigte ihn neben der Garderobe an der Wand und schrieb darauf: »Entscheidet Euch!«

IN PFLEGE

Weil sich in Herrn Mosekunds Wohnung immer mehr Bücher türmten und drängten, entschloss er sich schweren Herzens, eine gewisse Anzahl wegzugeben. Mit einem Stapel, dessen Zusammenstellung ihn manche Stunde gekostet hatte, begab er sich zum Antiquariat in der Hoffnung, die Bücher würden auf diesem Wege in gute Obhut kommen. Der Antiquar sah den Stapel durch, legte drei Bücher zur Seite und schob den Rest mit der Bemerkung »Die habe ich alle dutzendfach« ans Ende des Ladentisches. Dort stand eine Maschine, in deren Schlund der Antiquar hin und wieder ein unbrauchbares Buch steckte, das hineingezogen, im Inneren unter Erzeugung bedenklicher Geräusche zerkleinert und schließlich unten als eine Art Konfettiregen wieder ausgespuckt wurde. »Ist das etwa ein Reißwolf?« fragte Herr Mosekund erschrocken und drückte seine Mitbringsel fest an sich. »Ach was«, antwortete der Antiquar, »das ist ein Buchverzehrer.« - »Ja dann«, sagte Herr Mosekund beruhigt und legte die Bücher wieder zurück.

VOLLES PROGRAMM

Einmal in der Woche kehrte Herr Mosekund in seiner Stammkneipe ein und setzte sich an die Denkbar, um einige gepflegte geistige Getränke einzunehmen. Er begann meist mit einem doppelten Habermas, ließ einen Feuerbach Uralt folgen, verzehrte zwischendurch ein Mythenschnitzel, begoss dieses mit einem Schierker Wittgenstein und einem Sartre on the Rocks. Als Absacker wählte er je nach Stimmungslage einen gekühlten Sloterdijk oder einen Heidegger - auf Kosten des Hauses und jedes Mal mit einem Leibniz-Keks zum Knabbern. Zu Hause angekommen, genehmigte er sich noch ein Gläschen Schopenhauer und gurgelte nach dem Zähneputzen mit einem Schluck Adorno. Am nächsten Morgen fühlte er sich dann immer, als hätte er Nietzsches Autobiografie »Ecce homo. Wie man wird, was man ist« rückwärts gelesen. Aber das hätte er an einem einzigen Abend nie geschafft.

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