Umstrittener Warnschuss

Sachsen-Anhalts LINKE: Sitzenbleiben abschaffen

  • Uwe Kraus, Magdeburg
  • Lesedauer: 3 Min.
Die LINKE in Sachsen-Anhalt will das Sitzenbleiben in den Schulen des Landes abschaffen. Dass im Schuljahr 2009/2010 im Land 3918 Schüler sitzen geblieben sind oder die Klasse freiwillig wiederholten, habe zusätzliche Kosten verursacht, ohne dass dies einen messbaren Nutzen brachte, sagt die Bildungspolitikerin Edwina Koch-Kupfer.

Tausende Versetzungsvermerke hat Edwina Koch-Kupfer in ihrem Berufsleben als Lehrerin in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen geschrieben. Und sich darüber geärgert, dass mit dem »Nicht Versetzt« Misserfolge produziert werden und Menschen der Lebensweg verbaut wird. Nun sitzt sie als bildungspolitische Sprecherin in der LINKE-Fraktion des Magdeburger Landtags. In dieser Woche tritt sie vor das Landesparlament, um einen Antrag einzubringen, der den Titel »Sitzenbleiben in den Schulen überwinden« trägt.

Das Gottschalk-Beispiel

In vielen Fällen werde die Wiederholung einer Klassenstufe nicht der differenzierten Leistungsentwicklung der Schüler gerecht, sagt die LINKE-Politikerin, und die Klassenwiederholung stelle sich als keine wirksame Form der Förderung heraus. »Natürlich werden immer wieder große Namen von Thomas Gottschalk bis Thomas Mann genannt, die es trotz Extrarunde im Leben geschafft haben. Das verzerrt die Wahrnehmung, denn die meisten Biografien sind durchs Sitzenbleiben eher negativ geprägt.«

Koch-Kupfer sieht im Nicht-Versetzen durchaus auch einen Schritt der Pädagogen, sich Problemschülern zu entledigen, statt sie individuell zu fördern. Wissenschaftliche Untersuchungen belegten, dass »ganz allgemein zwar im Wiederholerjahr eine Leistungsverbesserung zu beobachten« sei, »aber schon im nächsten Schuljahr, in dem neue und höhere Anforderungen gestellt werden, sinken die Leistungen wieder ab«. Insbesondere sollten Schulen mehr als bisher angeregt werden, selbst durch eine demokratische Entscheidung pädagogische Konzepte einzuführen, die geeignet sind, den Schulerfolg ohne Klassenwiederholungen zu sichern. Dass im Schuljahr 2009/2010 im Land Sachsen-Anhalt 3918 Schüler sitzen geblieben sind oder die Klasse freiwillig wiederholten, habe zusätzliche Kosten verursacht, ohne dass die einen messbaren Nutzen brachte. Mit 2,2 Prozent Wiederholern liege die Quote doppelt so hoch wie in Brandenburg. »Und die Aufsteiger in der PISA-Studie - Sachsen und Thüringen - liegen bei 1,3 beziehungsweise 1,4 Prozent«, sagt Koch-Kupfer.

Das Thema Verzicht aufs Sitzenbleiben zieht sich seit Jahren durch die bildungspolitische Debatte des Landes Sachsen-Anhalt. Die CDU/SPD-Regierungskoalition brachte es in die Diskussion um die Gemeinschaftsschulen ein. Unterdessen köchele es auf kleinerer Flamme dahin, so Koch-Kupfer. Die Koalition habe durchaus erkannt, dass ein Zusammenhang zwischen Sitzenbleiben und späterem Verlassen der Schule ohne Abschluss bestehe. Ob jedoch geplante Sommerfördercamps für Sitzenbleiber die Lösung seien, bezweifelt Edwina Koch-Kupfer.

Die Bildungspolitikerin verwahrt sich aber dagegen, dass nun die LINKE mit ihrem aktuellen Vorstoß für Teile der Koalition von CDU und SPD in die Bresche springe. »Die Einzigen, für die ich hier in die Bresche springe, sind die Schüler«, sagt die 49-Jährige. Sie hält es für eine Mär, dass leistungsschwache Schüler andere beim Lernen behindern.

500 Millionen Euro Kosten

Doch Koch-Kupfer, die in Niedersachsen Lehrerreferendare ausbildete, sieht Defizite bei den pädagogischen Konzepten und bei der Befähigung ihrer Berufskollegen im Umgang mit den entsprechenden Schülern. Auch sei das Sitzenbleiben lassen ein ziemlich teurer Warnschuss. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung beziffert die Kosten dieses zumeist sinnlosen Versuchs, Kinder zum Durchstarten zu bewegen, deutschlandweit auf rund 500 Millionen Euro jährlich. »Die wären in einer gezielten Förderung Versetzungsgefährdeter deutlich besser angelegt«, meint Edwina Koch-Kupfer.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal