Die Drogerie als Daseinsvorsorge

Wenn Schlecker schließt, gibt es kaum noch Läden auf dem Lande

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.
Nachdem am Wochenende 2200 von ursprünglich 5400 Schlecker-Filialen geschlossen wurden, bangt knapp die Hälfte der bisherigen Belegschaft um ihren Arbeitsplatz. Und die Landbevölkerung befürchtet vielerorts große Lücken in der Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs.

Die Schlecker-Filialschließungen in kleineren Ortschaften haben ein neues Nachdenken über die Versorgung ländlicher Regionen ausgelöst. Schließlich war der Drogerie-Markt nach dem Verschwinden von »Tante-Emma-Läden« neben Bäckereien und Metzgereien oft der einzige Nahversorger im Umkreis von 20 Kilometern. Für viele Bewohner war und ist das breite Warensortiment von Babynahrung über Katzenfutter bis hin zu Getränken unverzichtbar. Zudem waren Schlecker-Läden vielfach im Ortskern angesiedelt und für Ältere ohne Auto gut erreichbar.

»Die Landbevölkerung ist zwingend auf eine ortsnahe Versorgung angewiesen«, sagt die Münchner Rechtsanwältin Elke Lill, die die Interessen des Schlecker-Gesamtbetriebsrats vertritt. Die Schließung stelle eine Beeinträchtigung der Grundversorgung dar. Weil ländliche Filialen für große Discounter angeblich nicht profitabel seien, stehe nun der Staat in der Verantwortung. Landesbürgschaften könnten ein Beitrag zum Erhalt der Märkte sein und damit die Grundversorgung sicherstellen, drängt Lill die Entscheidungsträger zur Entwicklung entsprechender Konzepte. Es bestehe akuter Lösungsbedarf und sei eine Frage des politischen Willens. »Bei der Bankenkrise war dieser so groß, dass man zu ihrer Rettung die Insolvenzordnung ändern konnte«, so die Juristin.

Bleibe es bei der Schließung der ländlichen Filialen, werde dort überwiegend kein neues Geschäft eröffnet. Irgendwann werde die Politik erkennen, dass sie zur Sicherstellung der Grundversorgung in diesen Gebieten tätig werden müsse, weil die Marktwirtschaft dies nicht gewährleiste, prophezeit die Anwältin. Die Eröffnung neuer Geschäfte wäre dann aber mit erheblich größeren Kosten verbunden. »Noch bestehen für die Schlecker-Filialen Verträge mit Vermietern, Arbeitnehmern, Lieferanten, Stromanbietern, Versicherern und die Einbindung in ein Logistiknetz«, so Lill.

Die öffentliche Hand müsste vor allem für die Kosten für die Fortführung defizitärer, aber für die Bevölkerung wichtiger Läden aufkommen. Es gehe ihr »nicht um die Rettung von Schlecker an sich«, sondern um die »Wahrung der Grundversorgung in ländlichen Gebieten mit den bestehenden Ressourcen unter Fortführung der bestehenden Arbeitsverhältnisse«, erklärt die Juristin. Der Staat müsse endlich erkennen, »dass Drogeriebedarf ebenso zur Daseinsvorsorge gehört wie die Anbindung an ein Verkehrsnetz«.

Halte sich der Staat jetzt heraus, so seien die gesellschaftlichen Folgekosten hinterher viel höher, argumentiert sie. Wenn etwa Rentner wegen der fehlenden Grundversorgung vom Land in die Stadt zögen, müsste die öffentliche Hand vielfach wegen der höheren Mieten Wohngeld zahlen. Und bei sinkender Bevölkerungszahl sei es im ländlichen Raum noch schwieriger, Arztpraxen zu besetzen. »Wenn hohe Subventionen für ökologisch fragwürdigen Biosprit fließen, wieso soll dann die Grundversorgung der Bevölkerung in ländlichen Gebieten nicht förderungswürdig sein?«, fragt Elke Lill. Immerhin habe ihr der Insolvenzverwalter »zugesagt, dass er sich um Fördermittel für Dorfläden bemühen wird«. Damit könnten auch Miet- und Arbeitsverträge im Rahmen eines Dorfladenprojektes übergeleitet werden.

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