EU-Bürgerschaft vollenden

  • Jan Philipp Albrecht
  • Lesedauer: 3 Min.
Jan Philipp Albrecht ist mit 29 Jahren der jüngste deutsche Europaabgeordnete und Innen- und Rechtsexperte der Grünen-Fraktion im EU-Parlament.
Jan Philipp Albrecht ist mit 29 Jahren der jüngste deutsche Europaabgeordnete und Innen- und Rechtsexperte der Grünen-Fraktion im EU-Parlament.

Was bringt uns die Europäische Union überhaupt? Eine Frage, die gerade in Zeiten immer neuer Hiobsbotschaften aus Brüssel gestellt wird. Eine der wichtigsten Antworten darauf sind die Grundfreiheiten und Grundrechte, die alle Bürger in der gesamten EU genießen. Neben Freizügigkeit und Diskriminierungsverbot über alle Landesgrenzen hinaus sind das auch soziale und bürgerliche Rechte, die sich aus dem EU-Recht ergeben. Darunter etwa die Anerkennung von Aufenthaltstiteln, Ausbildungsabschlüssen und Sozialhilfeansprüchen. Mit der fortschreitenden europäischen Integration wurde so Stück für Stück eine EU-Bürgerschaft begründet, die die nationale Staatsbürgerschaft ergänzt.

Das ist sinnvoll, in der Praxis wirft die Durchsetzung der EU-Bürgerrechte jedoch noch immer viele Fragen auf. In einem Beschluss des Europäischen Parlaments wurde jüngst Bilanz gezogen: Die Möglichkeiten für viele EU-Bürger, ihre individuellen Rechte in den verschiedenen EU-Staaten einzuklagen, sind äußerst beschränkt.

So gingen beim Europäischen Parlament und dem EU-Ombudsmann in den vergangenen Jahren Tausende von Beschwerden über nicht anerkannte EU-Rechte ein. Das ist nicht neu. Dennoch tun die Regierungen der EU-Staaten wenig, um die Einhaltung der EU-Bürgerrechte gleichmäßig zu gewährleisten. Ein Grund dafür ist, dass es noch immer nur sehr eingeschränkte Rechtsschutzmöglichkeiten für EU-Bürger vor dem Europäischen Gerichtshof gibt. Nur in sehr wenigen Fällen wird dort eine Individualbeschwerde auf Grund von Verletzungen der Grundfreiheiten und Grundrechte zugelassen.

Dies liegt nicht nur an den unzureichenden Rechtswegmöglichkeiten, sondern vor allem an der schlechten Ausstattung des Gerichtshofes. Zwar ist die EU-Grundrechtecharta seit dem Vertrag von Lissabon eine verbindliche und einklagbare Rechtsgrundlage für alle EU-Bürger. Doch noch immer ist der Europäische Gerichtshof in seiner Ausstattung nicht auf die Bearbeitung individueller Grundrechtsfragen eingestellt.

Oftmals werden Beschwerden gegen Verletzungen des EU-Rechts von den nationalen Gerichten abgewiesen, obwohl es für solche Fälle das in der EU vorgesehene Vorlageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof gäbe. Nach einer Zurückweisung ist der Gang in die nächste Instanz mit einer zu hohen Hürde verbunden.

Damit wird in vielen EU-Staaten der europäische Standard auch weiterhin munter gerissen, ohne dass es ein rechtliches Korrektiv hierfür gebe. Es ist dringend an der Zeit, dass die Politik hier tätig wird. Gerade die Bundesregierung ist aufgefordert, im Europäischen Rat endlich die Weichen für einen stärkeren Rechtsschutz auf europäischer Ebene zu stellen.

Der nächste Integrationsschritt der EU muss auch bei Verletzungen von EU-Bürgerrechten eine besser zugängliche Individualbeschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof vorsehen. Dazu muss das Luxemburger Gericht aber endlich zu einem echten Verfassungsgerichtshof weiterentwickelt werden, der nicht mehr nur die gemeinsamen Regeln einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft überwacht, sondern die EU-Bürgerschaft und die rechtstaatliche Demokratie in Europa als Ganzes vollendet und durchsetzt.

Gerade in Zeiten globaler Unsicherheit geben die in weiser Voraussicht geschaffene EU-Bürgerschaft und die damit verbundenen Rechte den Menschen in der EU neuen Halt. Die Politik in Deutschland und der EU sollte ihren Wert daher endlich auch in der Praxis schätzen.

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