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  • 10. nd-Lesergeschichten-Wettbewerb

Wassilis - der »König« von Rhodos

  • Lesedauer: 4 Min.
Das Tor zum Hafen von Rhodos
Das Tor zum Hafen von Rhodos

Er rennt nicht durch den Saal und ist dennoch überall. Der Raum ist erfüllt vom Licht der Morgensonne, deren Strahlen vom silbernen Meeresspiegel reflektiert werden und darum alles noch heller erscheinen lässt. Er bringt hierhin Kaffee, dorthin Tee, woandershin Mineralwasser, räumt flink gebrauchtes Geschirr ab, erfasst dann mit drei Fingern der linken Hand das Gedeck mit den Pfeffer-und-Salz-Streuern, hebt diese ein wenig hoch, während er mit der Rechten schwungvoll das Tischtuch fortzieht und sogleich ein neues über die Tischplatte ausbreitet. Dabei spricht er nach rechts und links sein »Kalimera«, »Guten Morgen« oder »Good morning« - und lächelt fröhlich. Das ist Wassilis, der Kellner eines Hotels am Strand von Faliraki auf der Roseninsel, auf Rhodos. Er wirkt nicht hastig, wenn er mit federndem Schritt die Distanz vom Ausschank zu den Tischen, von Tisch zu Tisch unglaublich schnell durchmisst, nie mit leeren Händen, nie müßig. Und seine Freundlichkeit ist nie hohl, sie ist keinesfalls eine eingeübte Trinkgeld-Höflichkeit. Sie kommt von Herzen, das leistet sich der vielbeschäftigte Grieche mitten im Trubel der Tourismussaison.

Wenn wir, meine Frau und ich, uns nach solch herzerwärmender Bedienung vom Frühstückstisch erheben und - von Wassilis mit einem »Jassu« oder »Auf Wiedersehen« verabschiedet - hinaustreten in den strahlenden Morgen, wie ihn einzig die mediterrane Sonne zu bescheren vermag, fühlen wir, dass dieser Tag nur schön werden kann. Schon nähert sich auf dem blauen Meer die leuchtend rote Fähre, auf deren Flanken »Faliraki-Rhodos« steht, und schiebt sich mit dem Bug direkt auf die Scheidelinie zwischen Wasser und Land.

Wir steigen über eine rote eiserne Treppe an Bord des Schiffes, unterstützt von der helfenden Hand einer dunkelhaarigen jungen Dame - so könnte die schöne Helena ausgesehen haben. Dann geht es in rasantem Tempo hinaus aufs Meer, der Nordspitze der Insel zu. Unterwegs werden noch einige der roten Eisentreppen am Strand angesteuert, im Nu füllt sich das Deck mit Menschen aus aller Herren Länder. Da, diese extravagant gekleidete junge Frau, die soeben noch mit hochhackigen Pumps durch den Sand gestakst ist, kann eigentlich nur eine Russin sein - blond, der wunderschönen Wassilissa gleich. Jetzt die Hafeneinfahrt - hier soll in alten Zeiten der Koloss von Rhodos, eines der sieben Weltwunder der Antike, gestanden haben. Sein Fehlen können wir jedoch beim Anblick des Panoramas der Stadt Rhodos recht gut verschmerzen - ihr glücklichen Augen, was je ihr gesehn! Dominierend die mittelalterlichen Stadtmauern, der Palast des Hochmeisters des Johanniterordens, immer noch erfurchtgebietend, dahinter erhebt sich aus dem Gedränge der Dächer die Moschee Suleimans des Prächtigen, in der Nachbarschaft des Turmes einer christlichen Kirche - Morgenland und Abendland vereint, hier und heute müssen sie sich tolerieren, bei Strafe gemeinsamen Verderbens.

Dann spazieren wir in der Altstadt die Platostraße entlang und betreten durch einen dunklen Toreingang den Sokratesgarten. Nie sahen wir ein prächtigeres Gartenrestaurant - hohe Palmen, üppige Sträucher, leuchtende Blüten: Nehmen wir unter einem Zitronen- oder lieber unter einem Granatapfelbaum Platz? Es kann auch ein Olivenbaum oder eine Bougainvillea sein - die Wahl fällt einem in solch botanischem Paradies schwer. Der Kaffee und der köstliche frischgepresste Orangensaft munden uns bei »Sokrates«, aber insgeheim schämen wir uns, wir genießenden Ignoranten: Hier in Griechenland ist die Philosophie zu Hause, eigentlich auch unsere geistige Heimat, doch wie schlecht kennen wir sie, die Ur-sprünge dessen, was wir sind, was wir denken, woher wir Europäer letztlich alle kommen. Plato und Sokrates - haben wir je etwas von ihnen gelesen? Ja, mit Müh' und Not den »Menon« oder den »Phaidon« vielleicht, damit hört es aber schon auf. Und wie steht es mit dem Dritten der klassischen Philosophen, Aristoteles - sind wir je über dessen »Poetik« hinausge-langt? Und die haben wir auch nur wegen Brechts nicht-aristotelischer Dramatik zur Kenntnis genommen. Die »Metaphysik« - obwohl wir den Begriff fortwährend im Munde führten - blieb uns hingegen ein Buch mit sieben Siegeln.

Des Abends wieder in Faliraki. Vor dem Saal des Hotels, in dem das üppige griechische Abendbüffet auf uns wartet, steht als Empfangsdame Antigone - munter, lebendig, von jugendlicher Schönheit. Nein, ihr Name sei ihr kein böses Omen, so versichert sie uns lächelnd, er bedeute einzig Liebe zur Tradition.

Und da ist auch schon Wassilis - in schneeweißem Hemd und schwarzer Weste kredenzt er uns den dunkelroten griechischen Wein. Er eilt, er ist wieder überall und über die Maßen freundlich - wie am Morgen so auch am Abend. Er bewegt sich ebenso so leicht wie würdevoll. Er ist hier der King - ja, natürlich, Wassilis heißt ja auch zu deutsch »König«.

Anton Hiersche
12437 Berlin

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