Neuer Streit um einen alten Hut

Zeitungsbericht löst Diskussionen um den Rückbau des ehemaligen Kernkraftwerkes Lubmin aus

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Der »Spiegel« verkauft das Abrisskonzept für das AKW Lubmin als neue Strategie. Grüne und Linke reagieren wie erwartet.

In der Lubminer Heide ist Zerstörung angesagt. Wenige Meter entfernt von der Ostsee reißen frühere Kraftwerker ihren alten Arbeitsplatz ab. Mehr als zwei Millionen Tonnen Stahl und Beton müssen abgetragen, zerlegt, dekontaminiert werden. Der »Rückbau« des Atomkraftwerks Greifswald, wie der Abriss im Branchenjargon heißt, ist der größte einer kerntechnischen Anlage weltweit.

Das AKW Lubmin war das größte der DDR. Seine fünf Reaktorblöcke produzierten zeitweise rund zehn Prozent des in Deutschland Ost benötigten Stroms. Doch weil nach dem Atomunfall in Tschernobyl die sowjetischen Reaktoren nicht länger als sicher galten, beschloss die Bundesregierung nach der Wiedervereinigung, das AKW stillzulegen und abzubauen. Der Bau von drei weiteren, fast fertigen Blöcken wurde gestoppt.

Die Ausschreibung für die Demontage des Atomkomplexes gewann der frühere Betreiber: Die Energiewerke Nord (EWN) sind Rechtsnachfolger des »Volkseigenen Kombinats Kernkraftwerke Bruno Leuschner«. Weil das Bundesfinanzministerium alleiniger EWN-Gesellschafter ist, muss der Steuerzahler für die immensen Abrisskosten aufkommen.

Wenn die Schweißgeräte und Sägen 2013 verstummen, wird das Projekt über drei Milliarden Euro verschlungen haben und vielleicht noch mehr - die Kalkulationen mussten schon öfter nach oben korrigiert werden. Den ursprünglichen Plan, sämtliche Gebäude abzureißen und das 450 Hektar große Areal wieder zur Wiese zu machen, ließ die Bundesregierung schon vor Jahren fallen. Nur noch die strahlenden Innereien des Kraftwerks sollen ausgebaut, weggeschafft oder vor Ort eingelagert werden.

Spiegel online verkaufte das längst Bekannte kürzlich als neue Nachricht. Die Gebäude des Atomkraftwerks Lubmin sollen demnach rund 50 Jahre stehen bleiben, meldete das Blatt - so lange, bis die Radioaktivität in Mauern und Böden weitgehend von selbst abgeklungen ist. Anschließend sollen die AKW-Anlagen wie herkömmliche Häuser abgerissen werden.

Atomkraftgegner, Grüne und Linke reagierten wie auf Zuruf. »Die Idee, eine Atomanlage jahrzehntelang stehen zu lassen und sie dann ohne Strahlenmessung aus der Überwachung zu entlassen, zeugt von bedenkenloser Schlampigkeit«, sagte etwa Sylvia Kotting-Uhl, die atompolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. »Ein fachlich so zweifelhaftes und verantwortungsloses Vorgehen hat im Atombereich nichts zu suchen.« Die von den EWN angepeilte Strategie gehe zu Lasten des Umweltschutzes und habe nur den Zweck, den AKW-Rückbau zur Billiglösung zu schrumpfen. Das diene, so Kotting-Uhl, »den Interessen der Energiekonzerne, denn es würde einen Präzedenzfall schaffen. Teile des Rückbaus werden unnötig in die Zukunft verlagert.«

DIE LINKE im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern feuerte auf den einflussreichen Atommanager Dieter Rittscher, den der »Spiegel« als Kopf hinter der angeblich neuen Abriss-Strategie ausgemacht hat. Als ehemaliger EWN-Chef sorge er sich »allein um die Maximierung des Profits der Atomkonzerne, die Sicherheit von Mensch und Umwelt spielt offenbar keine Rolle«, bemängelt Mignon Schwenke, die energie- und umweltpolitische Sprecherin der linken Landtagsfraktion.

»Es war immer Herr Rittscher, der uns erklärt hat, wie groß der Flächenbedarf für Neuansiedlungen von Unternehmen am Standort Lubmin ist. Dafür werden 80 000 Quadratmeter Gebäudefläche dringend gebraucht«, sagte Schwenke. »Die verzweifelte Suche der Bundesregierung und der Atomkonzerne nach billigen Entsorgungslösungen für die Unmengen von Atomschrott darf nicht auf Kosten der Sicherheit gehen.«

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