Happy Birthday, Sandwich!

Von einem herrlich schrulligen Jubiläum sowie anderen Merkwürdigkeiten und Eigenheiten der Engländer

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 6 Min.
Die Liebe der Engländer zu ihren Hunden ist grenzenlos.
Die Liebe der Engländer zu ihren Hunden ist grenzenlos.

Was dem Sachsen seine Bemme und dem Berliner seine Stulle, ist dem Engländer sein Sandwich - ein belegtes Brot. Dennoch liegen zwischen den ersten beiden und Letzterem Welten. Nicht nur, was die Konsistenz des Backwerks angeht. Das Sandwich hat's zu einer Marke geschafft, man kann es rund um den Erdball problemlos bestellen, ohne ein einziges Wort der jeweiligen Landessprache zu beherrschen. Seit es John Montagu, der Urenkel des 1. Earl of Sandwich 1762 erfand, machte es seinen Siegeszug um die Welt.

»Schuld« an der Klappstulle war gewissermaßen die Spielleidenschaft des englischen Aristokraten, der nächtliche Cribbagerunden liebte. Als er zur schönsten Maienzeit mal wieder mit Freunden im Pub die Karten kloppte und dabei die Zeit vergaß, meldete sich zu fortgeschrittener Stunde sein Magen. Der Earl aber hatte keine Lust, das spannende Spiel zu unterbrechen und orderte deshalb einfach eine Scheibe Rindfleisch, die er sich, um keine fettigen Hände zu bekommen, zwischen zwei Toastbrotscheiben legen ließ. Seine Mitspieler taten es ihm gleich und bestellten ein »Brot wie Sandwich«. Schnell wurde es in den abendlichen Männerrunden zum beliebten Snack. Für Damen allerdings galt es noch lange als unschicklich, ein Sandwich in aller Öffentlichkeit zu essen.

250 Jahre später wird das Sandwich in Großbritannien ausgiebig gefeiert. An diesem Wochenende steigt die große Fete in Sandwich, einem 5000-Seelen-Ort nahe Dover. Auf dem Programm stehen neben einem Konzert mit Werken Georg Friedrich Händels, des Lieblingskomponisten John Montagus, auch ein großer Bauernmarkt mit Produkten der Region. Und natürlich sind die Besucher aufgerufen, sich an einem Wettbewerb um das beste Sandwich zu beteiligen. Daran werden sich die Gäste aus der französischen Partnerstadt Honfleur wohl nicht beteiligen, sie treten stattdessen selbstbewusst in den Wettstreit »Sandwich gegen Baquette«. Da die Briten ja bekanntlicherweise sehr traditionsbewusst sind, wollen der Vorsitzende der örtlichen Sandwich Society, Keth Wells, und zwei Freunde an der Zeitschraube drehen und in Kostümen die Nacht auferstehen lassen, in der der Earl sein erstes Sandwich bestellte.

Doch nicht nur in Sandwich selbst wird die Erfindung des weltbekannten Fastfoods gefeiert, im ganzen Königreich gibt es zeitgleich die »Britische Sandwich Woche«. Organisiert wurde sie von der 1990 durch die Sandwichindustrie gegründeten »British Sandwich Association«. Na dann: Happy Birthday, Sandwich!

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Ohne den Jubilar geht in England gar nichts, er ist gewissermaßen das Hauptnahrungsmittel der Angelsachsen. Sandwiches isst man morgens, mittags, abends und zwischendurch natürlich auch. Stets dick belegt, mit (fast) allem, was sich an Essbarem zwischen zwei Brotscheiben packen lässt. Die allerdings sind weniger abwechselungsreich als der Belag - immer handelt es sich um diagonal geschnittenes helles Toastbrot von schwammartiger bis pappiger Konsistenz. Was für Leute aus dem Vaterland des Schwarzbrotes zu einer echten Herausforderung werden kann.

Es ist eben alles Geschmackssache. Wie auch das zweite berühmte Gericht der Engländer - Fish and Chips. Während das frittierte Flossentier sich in der Zubereitung kaum von dem unterscheidet, wie man es hierzulande kennt, erwartet den England-Frischling bei den Chips, wie dort die Pommes heißen, eine geschmackliche Überraschung. Die Briten würzen die Kartoffelstäbchen nämlich nicht nur mit Salz, sondern schütten obendrein noch reichlich Essig darüber. Was sie nicht nur sauer macht, sondern auch etwas matschig.

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Wie gesagt, es ist alles eine Frage des Geschmacks und natürlich der Traditionen. Und die pflegt man mit Leidenschaft. Für eine konnte sich auch die Autorin während eines mehrwöchigen Aufenthaltes in einer sehr traditionsbewussten englischen Familie ganz leicht erwärmen: das Ritual der Tea Time. Was mehr ist, als einfach nur Tee zu trinken. Nachmittags servierte Mary zum starken Schwarztee mit Milch frischgebackene Scones, kleine lauwarme süße Hefebrötchen, zusammen mit Clotted Cream (dickem Rahm) und Marmelade. Einfach köstlich, wenn auch alles andere als eine Diätspeise!

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Gegen diese unwiderstehlichen Kalorienbomben helfen lange Spaziergänge, bei denen man sich zumindest einreden kann, etwas für die Figur zu tun. Auf jeden Fall aber tut man damit etwas für die Bildung. Denn unterwegs stolpert man an allen Ecken und Enden über weitere herrlich schrullige britische Eigenheiten. Zum Beispiel über ihre Vorliebe, an alles und jeden mit Denkmälern zu erinnern. Selbst da, wo es nun wirklich kaum jemand erwarten würde. Wie an einer Bank an der Mole von Portsmouth. Ein kleines Messingschild an der Rückenlehne erinnert dort an Claire, die so gern hier saß und »propper bis zuletzt« war. Nur ein paar Meter weiter wurde für ein paar Seeleute aus der Hafenstadt eine riesige Stele errichtet, um daran zu erinnern, dass diese Söhne der Stadt vor Urzeiten auf einer einsamen Insel vom Gelbfieber dahingerafft wurden.

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Einen tiefen Blick in die britische Seele bietet ein Besuch in einem Pub. Ihn einfach mit Kneipe zu übersetzen, wird dieser Institution nun wahrlich nicht gerecht. Er ist so etwas wie die gute Stube der Engländer, oftmals eine Mischung aus Museum und Informationsbörse. Man kommt hierher, um ein Bier zu trinken und sich mit Leuten zu treffen. Feine Damen versinken beim Small Talk gern in wunderbar altmodischen plüschigen Sofas, gleich daneben spielen ein paar Männer am blankgescheuerten Holztisch wie weiland Earl Sandwich eine Runde Cribbage. Über allem liegt eine nicht unerhebliche Geräuschkulisse. Doch wer dieser mal kurz nach draußen entfliehen will, sollte sich vorher die AGB des Pubs durchlesen oder alle Schilder, die irgendwo hängen. Ansonsten könnte es möglicherweise Ärger geben. Denn solche Warnungen, wie die an der Außenfassade des Portsmouther Pubs »The Still & West«: »Es ist verboten, diesen Punkt mit Gläsern aus dem Pub zu überschreiten« sind durchaus ernst gemeint. Ordnung muss eben sein.

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Was schon mal dazu führen kann, dass man unfreiwillig Zeuge einer nahezu saukomischen Situation wird. Wie die Gäste einer Teestube ganz in der Nähe von »Still & West«. Während sie es sich drinnen gutgehen ließen, lief draußen ein Mann mit einer riesigen Dogge an der Leine vorbei. Mitten auf der Straße ließ der Hund etwas fallen, was keinesfalls auf der Straße liegen bleiben konnte. Der Mann stoppte und wühlte in seinen Taschen nach einem Tütchen - vergeblich. Nach kurzem Nachdenken kippte er einfach die Tüte mit den Einkäufen aus, nahm mit ihr den Haufen auf und steckte sie in den nächsten Abfalleimer. Dann verstaute er seine Einkäufe in allen Hosen- und Jackentaschen, klemmte sich den Rest unter den Arm und ging seiner Wege.

Auf denen übrigens muss keiner - wie in Berlin und andernorts in old Germany - mit dem Blick nach unten laufen, um nicht versehentlich in einer der unzähligen Tretminen zu versinken. So groß die Liebe der Engländer zu ihren (vielen) Hunden auch ist, niemals würden sie zulassen, dass diese die Wege verschmutzen.

Auch das ist very British. Wie angenehm!

  • Infos: Visit Britain, Alexanderplatz 1, 10178 Berlin, Tel.: (030) 315719-0, Fax: -10, www.visitbritain.de, www.sandwich.org.uk, www.visitkent.co.uk

    Literatur: »Gebrauchsanweisung für England«, Piper Verlag, ISBN: 9783492275040, 12,95 €.
Gläser bis hierher und nicht weiter - Warnung an einem Pub.
Gläser bis hierher und nicht weiter - Warnung an einem Pub.
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