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»Nur wer den Kopf hebt, wird gesehen!«

Im hessischen Mörfelden erreichte die KPD einst bei Wahlen 52 Prozent - heute macht dort die DKP/LL eine ungewöhnlich erfolgreiche Arbeit

  • Marianne Walz
  • Lesedauer: 5 Min.
Die ehemalige Bauarbeitersiedlung Mörfelden südlich von Frankfurt am Main hat eine ausgeprägte kommunistische Tradition. Im Kommunalparlament der heutigen 34 000-Einwohner-Stadt Mörfelden-Walldorf ist die DKP/Linke Liste mit neun Prozent vertreten. Seit Jahrzehnten und entgegen dem Bundestrend reden und wirken Kommunisten hier erfolgreich im politischen und gesellschaftlichen Leben mit. Zu ihren herausragenden Leistungen zählt die Aufarbeitung der jüngeren Ortsgeschichte und eine im Stadtbild sichtbare fortschrittliche Erinnerungskultur.
Mörfelden war einst eine Hochburg der KPD, bei der Reichstagswahl am 14. September 1930 erreichte die Partei dort sogar die absolute Mehrheit. Die AIZ widmete Mörfelden damals einen großen Beitrag, das Foto zeigt das von Arbeitergroschen finanzierte Volkshaus.
Mörfelden war einst eine Hochburg der KPD, bei der Reichstagswahl am 14. September 1930 erreichte die Partei dort sogar die absolute Mehrheit. Die AIZ widmete Mörfelden damals einen großen Beitrag, das Foto zeigt das von Arbeitergroschen finanzierte Volkshaus.

»Klein Moskau« hieß Mörfelden mit seinen damals knapp 5000 Einwohnern in den Jahren der so genannten Zwischenkriegszeit. Hier hatte die KPD bei den Reichstagswahlen von 1930 mit 52 Prozent die absolute Mehrheit, und ein kommunistischen Bürgermeister, der erste im damaligen Volksstaat Hessen, führte die Verwaltung. Hier steht das mit Arbeitergroschen finanzierte und in unzähligen Einsatzstunden errichtete Volkshaus, heute Bürgerhaus.

Beispiel Thälmannstraße

Vor dem Eingang der im Stil der progressiven Bauhausarchitektur errichteten Kultur- und Versammlungsstätte erinnert eine eindrucksvolle, vier Meter hohe Skulptur an die einstigen Erbauer: »Also seid ihr verschwunden, aber nicht vergessen«. Die Worte der Inschrift stammen aus Brechts Gedicht »An die Kämpfer in den Konzentrationslagern«. Unmittelbar nach Hitlers Machtergreifung 1933 verschwanden über 100 Volkshaus-Erbauer im KZ Osthofen und anderen Folterhöllen, die meisten von ihnen waren Kommunisten.

Besucher der Stadt Mörfelden-Walldorf bemerken weitere westbundesdeutsche Außergewöhnlichkeiten: Ein in den 70er Jahren gesetzter Gedenkstein für die Häftlinge der ehemaligen Außenstelle Walldorf des KZ Natzweiler mahnt: »Nie wieder Faschismus - Nie wie der Krieg«. Mit Faschismus - nicht wie üblich verschleiernd mit Begriffen wie Gewaltherrschaft oder nationaler Sozialismus - ist hier inmitten der Alt-BRD benannt, was 1700 jüdischen Zwangsarbeiterinnen widerfuhr.

Seit zwölf Jahren verläuft von hier aus ein Gedenkpfad mit 16 Informationstafeln über das Gelände des einstigen Grauens. Ein Stadtrundgang führt auch über zahlreiche »Stolpersteine« des Künstlers Gunter Demnig (53 sind es insgesamt), oder vorbei an Straßenschildern, die einen Salvador-Allende-Platz und eine Thälmann-straße ausweisen. Diese und weitere Zeichen der Erinnerung gehen maßgeblich auf die parlamentarischen Anträge der DKP/LL zurück. Ist Mörfelden-Walldorf ein Sonderfall von traditionell verwurzeltem linksliberalen Geist, der sich inmitten eines eigentlich antikommunistischen Umfelds durchsetzt?

Rudi Hechler, der die Arbeit der DKP Mörfelden bereits zwei Tage nach der Konstitution im August 1968 mit organisiert hat und zuvor illegal in der ab 1956 verbotenen KPD wirkte, spricht über die Hintergründe: »Linke und antifaschistische Traditionen gibt es auch in anderen Städten. Nur nützt die Tradition nichts, wenn man nicht ständig daran arbeitet.« Er erinnert an die Zeit des Kalten Krieges: »Bei der Beurteilung unserer heutigen Arbeit muss man die 500 000 Ermittlungsverfahren und die 35 000 Urteile einbeziehen, die sich gegen Kommunisten in der Bundesrepublik richteten.«

Wirken im Alltag

Hechler, der vor und nach 1968 als Kommunist von Bespitzelung und Verhaftung persönlich betroffen war, führt das Beispiel Thälmannstraße aus: »Es gab sie schon ab 1946. Aber im Kalten Krieg wurde die Straße umbenannt. Erst nach jahrelangem Kampf wurde der Name mit den Stimmen von SPD und DKP in den 70er Jahren neu durchgesetzt. 1989 forderte die CDU, die Straße nochmals umzubenennen, unterlag aber gegen die Stimmen von SPD, Grünen und DKP.«

Ähnlich, sagt Hechler, verhalte es sich mit den übrigen Zeichen des Gedenkens und Erinnerns: »Das waren nicht einfach unsere Ideen und Anträge im Parlament, da gab es jeweils eine außerparlamentarische Begleitung und manchmal eine lange Kampagne.« Außerparlamentarischer Druck müsse sein, erklärt Hechler, und meint das in doppelter Bedeutung: »Ein wichtiges Druck-Instrument ist unsere Stadtzeitung ›blickpunkt‹. Sie erscheint seit 1970 monatlich - im August 2012 zum 500. Mal! - und hat eine Auflage von 14 500 Exemplaren. Ohne diese Zeitung hätten wir bei der Kommunalwahl nie so viele Wählerstimmen erhalten.«

Finanziert wird die Zeitung aus Spenden und dem Sitzungsgeld der DKP/LL-Parlamentarier, gemacht und verteilt wird sie in unzähligen Einsatzstunden. »Viele unserer ›blickpunkt‹-Themen«, erklärt Hechler, »sind Bündnisthemen: Startbahn-West, Friedensbewegung, antifaschistische Politik, die neuen Ausbaupläne am Flughafen Frankfurt am Main. Unsere Stadt war die erste, die sich in den 80er Jahren auf dem Höhepunkt der Friedensbewegung zur atomwaffenfreien Zone erklärte. Über viele Jahre entwickelte sich rund um unseren Einsatz für Frieden und Umwelt ein gutes Verhältnis zu den Kirchen und den örtlichen Pfarrern.« Einer dieser Bündnispartner war um 1981 der als »Umweltpfarrer« bekannte Kurt Oeser. Er setzte sich zusammen mit den DKP-Genossen für den Wald ein, der auf dem Boden für die geplante Startbahn West stand. Was als großes Friedens- und Umweltengagement daher kommt, verlangt beständige alltägliche Kleinarbeit: »Es gibt das Diskussionsforum ›Linke Runde‹, gemeinsam mit der Linkspartei organisieren wir Grillfeste, Kinderveranstaltungen, feierten den 100. Geburtstag von Bertolt Brecht. Gregor Gysi hatten wir vor 400 Versammlungsteilnehmern, wir verteilen am 8. März rote Nelken auf der Straße, in Kindergärten, der Verwaltung, bei den Banken«, berichtet Hechler.

Der außerparlamentarische Druck - das ist nicht allein die Stadtzeitung. Dutzende Sonderpublikationen und Broschüren, die der gelernte Schriftsetzer und Bücherliebhaber Rudi Hechler anspruchsvoll gestaltet und mit den passenden »Zutaten« aus dem deutschsprachigen Literaturschatz bereichert, gab die ›blickpunkt‹-Redaktion in den zurück liegenden vier Jahrzehnten heraus.

Die jüngste, landesweit beachtete Edition trägt die Brecht-Zeile vom Mörfelder Bauarbeiter-Denkmal im Titel und erinnert an politisch und rassisch Verfolgte in Mörfelden-Walldorf: Arbeiter, Handwerker, Kaufleute, Geistliche und Landwirte, Juden und Christen. Recherchiert hatten sechs der stadtgeschichtlich Aktiven. Mit »Nichts und niemand ist vergessen!« schließt die Druckschrift.

Hechler kommentiert: »Wir dürfen uns unsere Geschichte nicht stehlen lassen. Fast alle der politisch Verfolgten hier waren Mitglieder der KPD, wir haben natürlich auch Sozialdemokraten aufgeführt. Wäre das Verhältnis umgekehrt: Straßen, Plätze, Schulen wären vor Ort gewiss schon lange nach ihnen benannt. Man muss dran bleiben. Nur wer den Kopf hebt, wird gesehen!«

Mit dabei beim Protest gegen die neue Frankfurter Landebahn: die Aktiven der DKP/LL von Mörfelden-Walldorf (l.), Rudi Hechler ist der 3. von rechts.
Mit dabei beim Protest gegen die neue Frankfurter Landebahn: die Aktiven der DKP/LL von Mörfelden-Walldorf (l.), Rudi Hechler ist der 3. von rechts.
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