Die verwirrte Oma im Pflegeheim

Leos Janáceks »Das schlaue Füchslein« an der Oper Leipzig

  • Werner Wolf
  • Lesedauer: 4 Min.

In einem Interview erklärte die niederländische Regisseurin Lotte de Beer, sie habe die Musik der Oper »Das schlaue Füchslein« von Leos Janácek bestimmt 100 Mal gehört, dabei die Augen geschlossen und den (auch von Janácek stammenden Text) auszublenden versucht, »um zu ergründen, was uns diese Musik sagt, welche Geschichte die Musik erzählt«. Das kuriose Ergebnis dieses Hörens, Ausblendens und Ergründens war jetzt in der Oper Leipzig zu erleben.

Die Geschichte wird, damit sie sofort »ernst genommen« werden soll (was die Regisseurin bei singenden und tanzenden Tieren nicht für möglich zu halten scheint) aus der Perspektive einer senilen Frau namens Fuchs in einem heutigen, nüchtern modern eingerichteten Pflegeheim in mehreren, mittels Drehbühne schnell verfügbaren Zimmern vorgeführt (Ausstattung Marouscha Levy) - gänzlich im Gegensatz zu den Vorstellungen Janáceks. Denn da spielen sechs der neun Bilder im Walde: der erste Akt, die zentralen Bilder des zweiten Aktes mit der »Hochzeit« des Füchsleins Schlaukopf und des Fuchses wie das Schlussbild. Ein weiteres spielt auf dem Hof des Revierförsters im Freien. Die anderen beiden zeigen den Revierförster, den Schulmeister und den Pfarrer in einem ländlichen Wirtshaus leicht alkoholisiert über ihr Leben grübelnd - charakteristischen Gestalten des Lebens auf dem Lande in waldreicher Umgebung, in manchen Zügen aber auch den Tieren nahe.

Den in die mittleren Jahre gekommenen, mit seinem Leben nicht mehr recht zufriedenen Revierförster lässt Janácek allmählich den sich ständig erneuernden Kreislauf der Natur entdecken und verstehen. Märchenhafte Fantasie, Hintergründiges und Reales verschmelzen in bewegender, ergreifender Weise. Zu allem fand der bis in seine letzte Lebenszeit vitale Janácek in seinen endsechziger Jahren auch für die nachdenklichen Szenen eine energiegeladene Musik, die mit einem grandiosen Hymnus auf die Natur endet. Diese Musik ahmt Natur nicht nach, sondern lässt sie blühenden, vielfarbigen Klang in melodisch, rhythmisch, harmonisch und instrumental ganz eigenem Tonfall Janáceks werden.

Im ersten, im Original in einer Waldlandschaft spielenden Bild umtanzen den in der Natur Ruhe suchenden Förster Insekten zu einer lebenssprühenden, aus mährischer Folklore gewachsenen, rhythmisch bewegten Musik, bevor das schlaue Füchslein vom erwachenden Förster gefangen wird. In der Oper Leipzig wird statt dessen ein nüchtern helles Zimmer eines Pflegeheims gezeigt, in dem eine Greisin zu dieser Musik krampfhaft mit großer Anstrengung versucht, von ihrem Sitz zu ihrem Rollator zu gelangen. So und ähnlich geht es weiter.

Im zweiten Bild, in dem das gefangene Füchslein die Hühner des Försterhofes übertölpelt und gehörig rupft, wird das Pflegepersonal mit einigen Federn und »Hühnermützen« ausgestattet. Einen »Höhepunkt« der abstrusen szenischen Gestaltung bildet die Fuchshochzeit in der wirren Fantasie der Fuchs-Oma, zu der sich auch der seine Frau im Pflegeheim besuchende Herr Fuchs ins Bett legt. Doch die Oma Fuchs bringt noch allerlei durcheinander und wird schließlich in einem Sarg gezeigt, bevor sich der Förster, der auch Leiter des Pflegeheims zu sein scheint, wie es in der Handlungsangabe des Programmhefts heißt, für das Leben entscheidet.

Die Regisseurin hat offensichtlich keinerlei Beziehungen zu jener Landschaft um Janáceks Geburtsort Hukvaldy. Ihr ist auch nicht bewusst, dass die Ostdeutschen, zumal die Sachsen, ein enges Verhältnis zur Kultur ihres tschechischen Nachbarn haben. Vermutlich ist ihr auch entgangen, dass in den ostdeutschen Ländern mehrere Generationen mit Sandmann-Figuren wie Herrn Fuchs, Frau Elster, dem Pittiplatsch, dem Schnatterinchen und Moppi aufgewachsen sind, ausgezeichnete DEFA-Märchenfilme gut kennen und sich ein unbelastetes Märchenverständnis bewahrt haben.

Auf einem ganz anderem Blatt steht, dass es der Regisseurin im Laufe der Proben gelungen ist, das Ensemble für ihre absurde Konzeption einzunehmen. Was Eun Yee You als Frau Fuchs, Kathrin Göring als Herr Fuchs, Tuomas Pursio als Förster, Timothy Fallon als Schulmeister, Milcho Borovinov als Pfarrer, Matthew Anchel als Wilderer Haraschta, Karin Lovelius als Frau Eule, Olena Tokar als Frau Grille, Cornelia Röser als Oberschwester, weitere Ensemblemitglieder, der Chor und das unter Matthias Foremny feinsinnig musizierende Gewandhausorchester leisten, verdiente hohe Anerkennung.

Um der wahrhaft einzigartigen Musik und ihrer Wiedergabe willen bleibt trotz aller Einwände für einen Besuch zu plädieren, aber mit dem Hinweis, dass auf der Bühne nicht »Das schlaue Füchslein« von Leos Janácek, sondern »Die verwirrte Oma Fuchs« von Lotte de Beer zur Musik von Janácek gespielt wird.

Nächsten Vorstellung: 29.6.

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