30 Jahre: doppeltes Talent
Ja, er war ein Gentleman - in Haltung und Gesinnung, in Arbeit und Umgang, Albert Wilkening (1909-1990), langjähriger Produktionschef des DEFA-Studios für Spielfilme in Babelsberg. Dorthin geriet er eher durch Zufall: Den 34-jährigen AEG-Patentanwalt setzte die Sowjetische Militäradministration 1945 als Staatsanwalt in Berlin-Köpenick, dann als Treuhänder für die in Babelsberg und Berlin-Tempelhof befindlichen Filmbetriebe ein. Fortan blieb er beim Film, wurde technischer Direktor und dann - unter wechselnden Bezeichnungen - der faktische Produktionschef der DEFA: bis zur Pensionierung 1976 immerhin 31 Jahre, für die Branche eine enorme Zeit. Die meisten DEFA-Spielfilme hat er betreut, gelenkt, verantwortet, auch beeinflusst. Vielfach geehrt, international geachtet.
Und der Gentleman hat als Kapitän den schwierigen Großdampfer DEFA, das Monopol-Filmproduktionsunternehmen der DDR, gut gesteuert: er hat also laviert und manövriert, um ideologische, personelle, finanzielle Klippen herum, hat auch Umwege nicht gescheut und Irrwege zugegeben.
Nach Art moderner Dokumentarfilmer kompiliert Herausgeber Michael Grisko verschiedene Materialien: Briefe, Reden, Artikel, auch Leitungsprosa, die Wilkening in seinem Amte oft genug schreiben musste, ergänzt durch Berichte von ehemaligen Mitarbeitern als Zeitzeugen (deren Auswahl freilich etwas unklar erscheint) und durch eigene Kommentare.
Durchweg beeindruckend ist zu lesen, wie Albert Wilkening technische und personelle Fragen stets so mit Filmkunst verflechten konnte, dass sie allemal über einen konkreten Film hinausgehen und weiterwirkende Einsichten zulassen. Wilkenings Doppelbegabung - als Jurist und als Techniker - hat ihm dabei mit Nüchternheit und Rationalität geholfen. Er hatte nie den Ehrgeiz, selbst Filme machen zu wollen. Dies ermöglichte ihm, auf so lange Zeit souverän und großzügig, manchmal aber auch streng mit »seinen« Künstlern umzugehen, damit sie das Beste für die Firma machten. Und eben auch mit allen anderen Mitarbeiter dieses Großbetriebs DEFA. Solche Haltung machte ihm nicht immer Freunde, wie sich denken lässt.
Eine Firmenlegende berichtet, dass Wilkening jeden Morgen durch die Ateliers ging. So zeigte er sich als Chef präsent, so wusste er über Dreh- und Bauarbeiten aus eigener Anschauung (und nicht nur über Erfüllungspapiere) Bescheid und konnte - quasi im Vorübergehen - mancherlei Konflikte im Gespräch klären. Nicht klären konnte er damit die häufigen Konflikte mit seinen Oberen um ideologische Probleme, die handelte er - wie es üblich war - auf dem Instanzenweg ab. Jeder Film kostete über eine Million (Ost)-Mark - da stützte sich Wilkening vertrauensvoll auf seine Kalkulatoren, rechnete auch mal selbst nach, mahnte unverdrossen Einsparungen an und wurde auch schon mal mehr als knausrig - was ihm viele anlasteten.
Eigentümlich und schwer zu glauben, dass der schärfste Eingriff in die DEFA-Produktion, jenes Kahlschlag-Plenum vom Dezember 1965, so gar keine Spuren in den Notizen und Erinnerungen Wilkenings hinterlassen haben soll. Hat er darüber nicht reflektiert? Hat er es vollkommen verdrängt oder war die Kränkung so groß, dass er sie vergessen wollte? Dabei war gerade er es, der schon im Januar 1966 beherzt energische Maßnahmen im Studio einleitete, um den immensen Schaden, den die Politik verursacht hatte, wenigstens materiell einzugrenzen und der Belegschaft beizustehen, indem er die Produktionsfähigkeit des Studios technisch sicherte.
Dieser Mann und seine Biografie sind deutsche Filmgeschichte.
Grisko, Michael (Hrsg.): Albert Wilkening, Der Gentleman der DEFA. Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Brüssel, New York, Oxford, Wien, 2012. 298 S., Abb. , 39,80 €.
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