Kein Alleinvertretungsanspruch

Die Linke und der Stalinismus

  • Günter Benser
  • Lesedauer: 3 Min.
Ulbricht (l.) und Pieck (r.) nach der Einweihung des Stalin-Denkmals in Berlin, 1951
Ulbricht (l.) und Pieck (r.) nach der Einweihung des Stalin-Denkmals in Berlin, 1951

In aktuelle Streitfragen und Diskurse der Linken, die auf dem Streitplatz Stalinismus ausgetragen werden, will sich Erhard Crome von der Rosa Luxemburg Stiftung mit der hier anzuzeigenden Publikation einschalten. Er wendet sich gegen atheoretische Tendenzen und verficht die Unverzichtbarkeit gründlicher gesellschaftspolitischer Analysen. Seine Rückschau auf den »Stalinismus in der Geschichte« ist an den Kritiken von Trotzki und Djilas orientiert.

Crome konstatiert, dass es sich bei Sozialismus und Kommunismus nicht um zwei Stufen einer Gesellschaftsformation, »sondern um zwei deutlich zu unterscheidende Gesellschaftskonzepte« handelt, und legt im Folgenden seine Sicht auf die gegenwärtige Befindlichkeit der deutschen Linkspartei dar, für die er sowohl objektive als auch subjektive Ursachen verantwortlich macht. Seine Warnung an zerstrittene Funktionäre fällt deutlich aus: »Wenn die LINKE ›als Partei der sozialen Frage‹ wieder verschwindet, verschwindet die soziale Frage als die Frage nach dem Verhältnis von Kapital und Arbeit auch von der politischen Tagesordnung dieses Landes.«

Der Autor erinnert an den sogenannten »antistalinistischen Konsens« des Außerordentlichen Parteitages vom Dezember 1989, an das von Michael Schumann vorgetragene Referat »Zur Krise in der Gesellschaft und zu ihren Ursachen, zur Verantwortung der SED« sowie an den von Oskar Lafontaine 2011 als Buchrezension im »neuen deutschland« erschienene Polemik und plädiert dafür, diese Standpunkte nicht gegeneinander auszuspielen. Seine Mahnung richtet sich prononciert an die »Reformer« vom Forum Demokratischer Sozialismus. Ihnen wirft er vor, einen »Alleinvertretungsanspruch in Bezug auf das Erbe der PDS« zu erheben. Tatsächlich hat die Problematik Stalinismus nicht für alle Teile der Linken die gleiche Relevanz. Von Westlinken und von jüngeren Weggefährten kann nicht die gleiche Betroffenheit erwartet werden wie von den in der SED politisch sozialisierten Mitgliedern der Linkspartei.

Vielleicht ist Cromes weitgetriebene Exegese von Textstellen nicht jedermanns Sache, aber grundsätzlich ist ihm zuzustimmen. Wenn es Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Definition von Stalinismus, des Ausmaßes und der Ursachen des Stalinschen Terrors sowie der Folgen für die deutsche Arbeiterbewegung und die DDR gibt, so wären das gewichtige Differenzen in der Geschichtsinterpretation. Das besagt indes noch lange nicht, dass in der LINKEN eine Strömung existiert, vor der zu warnen sei, weil sie einen Sozialismus mit stalinistischen Strukturen und Deformationen ansteuern würde. Da bedrohen diese Partei ganz andere Scheidelinien. Als Popanz sollte der Stalinismus in der innerparteilichen Auseinandersetzung nicht instrumentalisiert werden. Crome bringt es auf den Punkt, wenn er feststellt, dass linke Politik nicht auf einer »Betroffenheitsperspektive« beruhen darf, sondern »als wissenschaftlich begründete Kapitalismus-Analyse« entwickelt werden muss.

Seines Erachtens unbegründeten Warnungen vor einem Geschichtsrevisionismus in der Linkspartei stellt der Autor seine Sicht gegenüber, was Stalinismus tatsächlich war und wie weit heute die LINKE von solchen Theorien und Praktiken entfernt ist. Alles in allem ist das Buch ein Plädoyer für einen kritischen Umgang mit Geschichte, den man sich nicht vom Gegner vorschreiben lassen darf. Es mündet in die Schlussfolgerung, dass sich in den nächsten Jahrzehnten die Zukunft der Menschheit entscheiden wird. Eindringlicher lassen sich die Herausforderungen, denen sich die LINKE gegenübergestellt sieht, wohl kaum formulieren.

Erhard Crome: Die Linke und der Stalinismus. Besichtigung eines Streitplatzes. Verlag am Park, Berlin 2012. 190 S., br., 16,95 €.

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