Wütende Weißkittel

Medizinisches Personal in Portugal protestierte gegen Sparmaßnahmen

  • Hans-Gerd Öfinger, Coimbra
  • Lesedauer: 3 Min.
Zu Beginn der sommerlichen Urlaubszeit steht das krisengeschüttelte Portugal im Zeichen einer Streik- und Protestbewegung von Ärzten, Krankenpflegern und Lehrern.

Ein landesweiter Streik der angestellten Mediziner hat am Mittwoch und Donnerstag die Operationssäle und Ambulanzen in portugiesischen Krankenhäusern, Arztpraxen und Einrichtungen des staatlichen Gesundheitsdienstes SNS weitgehend lahmgelegt. Es war der erste Ausstand der Ärzte seit den 80er Jahren und für viele der erste Arbeitskampf überhaupt.

Dazu aufgerufen hatten die Ärztegewerkschaften FNAM und SIM. Den Höhepunkt der Streikbewegung bildete am Mittwoch eine Demonstration vor dem Gesundheitsministerium in Lissabon mit über 4000 Medizinern, die aus allen Regionen des Landes angereist waren. Unter dem Druck des Streiks fanden am späten Freitagnachmittag erste Verhandlungen der Gewerkschaften mit dem konservativen Gesundheitsminister Paulo Macedo statt. Die Gewerkschaften drängen auf spürbare Verbesserungen bis spätestens Ende August.

Meinungsumfragen belegen eine breite Unterstützung der Bevölkerung für die Belange der Ärzte. Auch konservative Medien berichteten ausgesprochen sachlich bis wohlwollend über den Arbeitskampf. In etlichen kleineren Städten fanden am Mittwoch Solidaritätsversammlungen statt. Lediglich ein Notdienst war für die Behandlung dringender und akuter Fälle eingerichtet.

Die angestellten Ärzte Portugals beklagen seit Jahren schlechte Arbeitsbedingungen, lange Arbeitszeiten und magere Einkommen im SNS. Der steuerfinanzierte Gesundheitsdienst gilt als eine Errungenschaft infolge der Nelkenrevolution von 1974 und wurde in den späten 70er Jahren nach dem Vorbild des britischen Gesundheitsdienstes aufgebaut.

Seit den 90er Jahren werde das öffentliche Gesundheitswesen allerdings durch eine chronische Unterfinanzierung und zunehmende Ausgliederung sowie die Privatisierung etwa von Labor- und Röntgenleistungen ausgehöhlt, beklagte der Arzt und FNAM-Aktivist Antonio Rodrigues am Freitag auf »nd«-Anfrage. Dabei seien internationale Gesundheitskonzerne wie die deutsche Fresenius-Gruppe auf dem Vormarsch und sicherten sich auf Kosten der Allgemeinheit profitable Filetstücke. Der Plan der konservativen Regierung, unter dem Druck der »Troika« aus Internationalem Währungsfonds, EU und EZB im Haushalt 2013 eine Milliarde Euro im Gesundheitswesen einzusparen, werde die Situation verschärfen. Aufgrund relativ niedriger Gehälter würden schon heute viele Ärzte dazu gedrängt, sich mit einer Privatpraxis einen Nebenverdienst zu sichern. All dies stärke die Tendenz zur Mehr-Klassen-Medizin.

Für besondere Empörung sorgen Pläne der Regierung in Lissabon, junge Ärzte im SNS künftig von einer Laufbahn im öffentlichen Dienst auszuschließen. Stattdessen sollen sie über private Zeitarbeitsfirmen für einen Stundenlohn von etwas mehr als vier Euro angeheuert und je nach Bedarf kurzfristig und flexibel in unterschiedlichen Krankenhäusern eingesetzt werden. In den letzten Tagen haben Berichte über Stundenlöhne von 3,96 Euro für mehrere Hundert Krankenpfleger und andere technische Fachkräfte im Gesundheitswesen, die als Leiharbeiter beschäftigt werden, Aufsehen erregt. Nach dem Vorbild der Ärzte drohen nun auch die Krankenpfleger mit einem Streik.

Gegen drastische Einschnitte im Bildungswesen protestierten am Donnerstag auch über 5000 Lehrer in Lissabon. Viele von ihnen befürchten, ihre Arbeit zu verlieren, und dass die Schüler in immer größeren Klassen unterrichtet werden müssen.

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