Kinder im Rechtsalltag - Eltern haften nicht immer für ihre Kinder

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Schon früh stellt sich die Frage nach der Verantwortung von Kindern und Jugendlichen für ihr Tun. Das hat vor allem Bedeutung im Straßenverkehr. Die Verantwortung, aus Kindern und Jugendlichen keine Verkehrsrowdys zu machen, liegt eindeutig bei den Eltern. Sie sollten insbesondere im Beisein ihrer Kinder mit gutem Beispiel voran gehen und klare Grenzen des Erlaubten setzen. Hierbei gilt in Abwandlung des Baustellenschildes der Grundsatz: »Eltern haften nicht immer für ihre Kinder«. ARAG-Experten weisen darauf hin, dass Eltern nur dann für ihre Kinder haften, wenn ihnen eine persönliche Aufsichtspflichtverletzung vorgeworfen werden kann. Das Maß der gebotenen Aufsicht bestimmt sich nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes, nach Vorhersehbarkeit des schädigenden Verhaltens sowie danach, was den Eltern in ihren jeweiligen Verhältnissen zugemutet werden kann. So muss beispielsweise der Nachbar den Kratzer am eigenen Auto entschädigungslos hinnehmen, wenn die fünfjährige Julia nach vorherigem Fahrunterricht und längerem Vertrautsein mit dem Fahrrad unter den Augen der Mutter die Gewalt über das Zweirad verliert. Julia haftet nicht, da sie erst fünf Jahre ist und die Eltern haften nicht, da ihnen und dem Kind zuzubilligen ist, dass es unter ihrer Anleitung alleine fahren lernt. Die Aufsichtspflicht ist hier nicht verletzt. (LG Düsseldorf, VersR 1994, 484/LG Nürnberg-Fürth, 2 S 5891/94). Begann die eigene Haftung des Kindes bisher allgemein noch bei sieben Jahren - wenn es die erforderliche Einsichtsfähigkeit hat -, ist die Grenze für den Straßenverkehr ab August 2002 auf zehn Jahre - soweit kein vorsätzliches Verhalten vorliegt - heraufgesetzt worden, was wohl allgemein zu begrüßen ist. Die Konsequenz wird deutlich bei einem Fall des Oberlandesgerichtes Braunschweig aus dem Jahr 1994: Dort waren eine Autofahrerin und ein achtjähriger Junge auf dem Fahrrad zusammengestoßen. Die Richter sprachen dem Jungen noch 20 Prozent Mitschuld zu (DAR 1994, 277). Ferner ist seit 1. August die Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters gegenüber nicht motorisierten Verkehrsteilnehmern nach dem Straßenverkehrsgesetz erweitert, da sie nur noch durch »höhere Gewalt«, nicht wie bisher durch Vorliegen eines »unabwendbaren Ereignisses« begrenzt wird. Insgesamt werden also nach dem neuen Recht insbesondere kindliche Unfallopfer stärker als bisher geschützt. Experten weisen jedoch darauf hin, dass 7- bis 9-Jährige außerhalb des Straßenverkehrs bei Vorliegen der erforderlichen Einsichtsfähigkeit grundsätzlich verantwortlich bleiben. Sie verweisen diesbezüglich auf eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Aachen, in der ein siebenjähriger Junge zusammen mit einem achtjährigen Jungen mit dem Feuer gespielt und einen Brand verursacht hat. Hierfür wurde er voll als verantwortlich angesehen (VG Aachen, NJW 2000, 161). Dasselbe wurde für einen 7-Jährigen, der trotz Warnung einem Spielkameraden mit der Schleuder ein Auge ausschoss, entschieden (BGH, VersR 54, 118). Gesetzliche Bestimmungen Kinder im Rechtsalltag - Ausschnitte aus relevanten Gesetzesbestimmungen: § 828 BGB: (1) Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. (2) Wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, ist für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen zufügt, nicht verantwortlich. Dies gilt nicht, wenn er die Verletzung vorsätzlich herbeigeführt hat. (3) Wer das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist, sofern seine Verantwortlichkeit nicht nach Absatz 1 oder 2 ausgeschlossen ist, für den Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich, wenn er bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht hat. Urteile Nähert sich ein siebenjähriges Kind auf dem Weg zur Schule erkennbar dem Straßenrand und tritt dann plötzlich auf die Straße, muss ein mit 50 km/h herannahender Autofahrer, der es anfährt, für den Schaden aufkommen. Allein das Auftauchen von Kindern am Straßenrand bedeutet »Fuß vom Gas« (OLG Frankfurt, DAR 2001, 217). Für (geistig) behinderte und schwer verhaltensgestörte Kinder mit ausgeprägter Aggressionsbereitschaft kann eine erhöhte Aufsichtspflicht der Eltern bestehen. Setzt ein 9-jähriges behindertes Kind mit einem aufgefundenen Feuerzeug eine Scheune in Brand, kann es wegen seiner geistigen Behinderung selbst nicht zur Verantwortung gezogen werden. Da es aber zu extremen Aggressionen neigte, bestand vorliegend eine besondere Aufsichtspflicht, die eine fast ständige Kontrolle erforderte (BGH, ZfS 1996, 8). Überrollt der Fahrer eines Mülllasters ein siebenjähriges Kind, das mit seinem Fahrrad vorschriftsmäßig den Gehweg befährt, trägt er allein die Schuld. Diskutiert wurde im entschiedenen Fall eine Mitverantwortung des betreffenden Kindes, die ab August 2002 entfallen ist (OLG Frankfurt, DAR 2001, 456). Wer hinter einem Rad fahrenden Kind herfährt, muss mit für einen Erwachsenen atypischen Fahrmanövern des Kindes rechnen und sich hierauf einstellen. Dabei sind 50 bis 60 km/h zu schnell, um die erforderliche Reaktion ausreichend zu gewährleisten (OLG Hamm, ZfS 1999, 373 und ZfS 1999, 377). Ein 11-jähriges Kind haftet für Schaden an einem anderen Fahrzeug durch unachtsames Öffnen der Autotür (LG Mainz DAR 2000, 273). Auch ein erst 14-jähriger Junge weiß, dass er eine Schreckschusspistole nicht einem Freund aus kurzer Distanz vor das Gesicht halten darf. Er haftet voll dafür, wenn sein Freund wegen eines ausgelösten Schusses das Auge verliert und eine Hirnschädigung erleidet und ist im vorliegenden Fall verpflichtet, 32000 Euro Schmerzensgeld zu zahlen (OLG Celle, AZ: 9 U 159/01, ZfS 2002, 280)

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