Lange laufen, besser denken

ULTRAMARATHON: Christine Kätzel rannte 210 Kilometer durchs Tal des Todes bis zum Mount Whitney

  • Lesedauer: 4 Min.
Er gilt als einer der härtesten Disziplinen bei den Olympischen Spielen: der Marathonlauf. Dabei ist er mit seinen klassischen 42,195 km ein Spaziergang im Vergleich zu Extremstrecken, die von Ausdauerathleten absolviert werden. Wie etwa die 217 Kilometer beim »Badwater Ultramarathon« in Kalifornien. Christine Kätzel (48), Sport-Physiotherapeutin aus Mainz, die heute in Hamburg wohnt und arbeitet, war im Tal des Todes (-85,4 m) und am Mount Whitney (2530 m).

nd: Sie laufen mittlerweile regelmäßig ein Vielfaches der olympischen Marathonstrecke von 42,195 Kilometern. Ist die Basisversion des Marathons zu kurz?
Kätzel: Nein, der »Standardmarathon« ist unbestritten die klassische Distanz, gerade im Hinblick auf die »olympische« Laufgeschichte der Menschheit.

Aber sollte man ihn nicht langsam verlängern? Die Trainingsmethoden haben sich seit 2500 Jahren doch auch verbessert.
Der griechische Historiker Herodot berichtet ja auch von einem Pheidippides, der vor der Schlacht von Marathon mit einem Hilfsgesuch des Strategen Miltiades von Athen nach Sparta gelaufen sei und die 246 Kilometer in anderthalb Tagen zurückgelegt habe. Vielleicht sollte man die Strecke entsprechend verlängern?! Aber im Ernst: Ich halte das natürlich nicht für sinnvoll.

Mit den 217 Kilometern des »Badwater Ultramarathon« sind Sie der antiken Rekordmarke recht nahe gekommen. Warum haben Sie sich überhaupt einer derartigen Tortur unterzogen?
Früher hatte ich leichtes Übergewicht. Mit 28 Jahren habe ich deshalb zu laufen begonnen. Nachdem das Gewicht stimmte, stand beinahe zwangsläufig die nächste Herausforderung auf dem Zettel: der Marathon - und mehr. Bis schließlich zum »Marathon des Sables« in Marokko, 250 Kilometer in der Wüste Nordafrikas. Da blieb nur noch der wirklich ultimative Test: »Badwater Ultramarathon«.

Wie sah die Vorbereitung aus?
Ich haben zwei Jahre lang Kondition aufgebaut. Im Schnitt bin ich an vier Tagen in der Woche insgesamt 80 Kilometer gelaufen. Da ging es ja auch um ein Ausnahmeprojekt. Ansonsten lebe ich keineswegs asketisch. Wichtig ist allein der Kopf: Falls Sie etwas wirklich und ernsthaft wollen, können Sie das auch erreichen!

So wie die Indianer, die können ja quasi auch ohne Pause traben. Berühmt sind die Tarahumara im Norden Mexikos, die sollen 300 Kilometer am Stück durchziehen.
Locker und nicht aufs Tempo drücken, das ist das Geheimnis. Sieben Kilometer in der Stunde sind ein guter Schnitt.

Aber doch nicht nonstop?
Nein, zwischendurch bin ich auch gegangen. Die Teilnehmer haben 60 Stunden Zeit, danach werden sie nicht mehr gewertet. Ich habe 57 Stunden gebraucht.

Wie war Ihre Strategie?
Eine Nacht sind wir durchgelaufen. Um sechs Uhr morgens haben wir ein Hotel erreicht, dort haben wir geduscht und zwei, drei Stunden lang geschlafen. Anschließend ging’s weiter.

Ihr Schutz gegen die sengende Sonne im Death Valley?
Nasse Handtücher auf den Kopf. Dort werden bis zu 57 Grad im Schatten gemessen, und »Schatten« ist ein Witz, »Schatten« gibt es ja praktisch nicht.

Unterwegs mal an Aufgabe gedacht?
Klar, ab und zu fragt man sich: Was mache ich hier eigentlich? Aber solche Durchhänger werden rasch wieder von Hochgefühl abgelöst: Wahnsinn, dass mein Körper funktioniert!

Der Marathonweltrekord der Frauen ist 2003 von Paula Radcliffe in London mit 2 Stunden 15 Minuten und 25 Sekunden aufgestellt worden. Was würden Sie sich zutrauen?
Wenn ich richtig gut trainiere vier Stunden plus oder minus fünf Minuten. Also keine Aussicht auf eine Olympiamedaille.

Und Sie haben auch nie davon geträumt, mal bei den Olympischen Sommerspielen zu starten?
Nein, nie im Leben! Dafür bin ich viel zu langsam. Und ein Marathon wäre mir auch zu langweilig, da passiert ja nix, kein Abenteuer, keine spannenden Trails, bloß Asphalt.

Sollte denn neben dem klassischen Marathon ein Ultramarathon ins Olympiaprogramm?
Das wäre bestimmt interessant. Zumal wir Menschen - betrachtet vom Standpunkt der Entwicklungsgeschichte - Ausdauerjäger sind. Warum nicht auch 100 Kilometer Ultramarathon? Nur ob die elektronischen Medien das für Zuschauer und Hörer auch spannend aufbereiten können, ist wohl fraglich.

Viele Menschen laufen, weil sie ihre Fitness verbessern möchten. Ist das eine Option für Spätberufene aus der Generation 50 plus?
Selbstverständlich! Unlängst habe ich zusammen mit der Marathonabteilung des FC St. Pauli einen Einsteigerlaufkurs organisiert, und der älteste Teilnehmer war 60 Jahre alt. Der Körper ist auch im vorgerückten Alter dazu fähig umzusteuern.

Neben Sport engagieren Sie sich gegen den Neofaschismus.
Am Vorabend des Naziaufmarsches Anfang Juni 2012 in Hamburg hatte besagte FC St. Pauli-Marathon-Abteilung zu einem Lauf um die Alster - und zwar links rum, versteht sich! - aufgerufen, und ich war im Helferteam dabei. Gegen eine Spende von mindestens einem Euro wurden symbolische Startnummern vergeben, und die gesammelten Spenden haben wir an das Bündnis gegen Rechts überwiesen.

Welch wunderbare Ironie: Der Klischee-Nazi ist eher stiernackig und hat Bierbauch - und wird vorgeführt von drahtigen Linken
Bewegung fördert die Kognition, will sagen: die Fähigkeit zu denken, und das ist nix für Nazis.

Gespräch: René Gralla

Mit Christine Kätzel laufen beim FC St. Pauli

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