Ungezählte Obdachlose

Bundesregierung ist Statistik über Wohnungsnotfälle zu teuer

  • Lesedauer: 2 Min.
Die Bundesregierung hält an ihrer Vogel-Strauß-Politik gegenüber der Obdachlosigkeit fest. In ihrer aktuellen Antwort auf eine Kleine Anfrage der Opposition lehnt sie auch weiterhin eine bundesweite Wohnungsnotfallstatistik ab.

»Diese Regierung ist besinnungslos resistent gegen die Wahrnehmung der Wirklichkeit«, ist sich der Geschäftsführer der Bielefelder Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe Thomas Specht sicher. Gegenüber »nd« spricht er von Scheuklappen, Ignoranz und Negierung sozialer Probleme durch Schwarz-Gelb, die er - seit über 40 Jahren sozialpolitsch interessiert - noch nie in diesem Ausmaß erlebt habe.

Specht bezieht sich damit auf die Antwort der Regierung auf die Kleine Anfrage der drei Bundestagsoppositionsparteien SPD, Grüne und LINKE, die auf Einführung einer bundesweiten Wohnungsnotfallstatistik zielt. Die Regierung hält eine solche seit 30 Jahren immer neu geforderte Erhebung für »problematisch und kaum realisierbar« und bemüht den »erheblichen finanziellen und bürokratischen Aufwand«. Überdies sei die Zahl der Wohnungslosen in den vergangenen 20 Jahren »deutlich zurückgegangen«.

Nicht nur, dass Specht die Ablehnungsgründe für vorgeschoben hält, sondern vielmehr meint, dass Schwarz-Gelb keine Zahlen haben will, »weil dann das Problem nicht existiert«. Die wohnungspolitischen Sprecher der Oppositionsfraktionen im Bundestag sehen das genauso. Die schwarz-gelbe Regierung leugne ein gesellschaftliches Problem, »indem sie die Einführung einer bundesweiten Wohnnotfallstatistik weiterhin ablehnt«, erklären sie unisono. Dabei könne man, so Specht, den Ressourceneinsatz zielgenauer steuern, den Betroffenen besser helfen, besäße man eine aussagekräftige Statistik.

Der Bielefelder Dachverband ist ohnehin weit davon entfernt, die übermütigen Entwarnungsrufe der Regierung zu teilen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft registrierte vielmehr nach einer tatsächlich zehnjährigen rückläufigen Entwicklung zwischen 2008 und 2010 wieder eine um 10 Prozent gestiegene Zahl an Wohnungslosen. Bei Alleinstehenden beträgt die Steigerungsrate sogar 15 Prozent. Und: Die Prognose der Fachleute lautet, dass bis 2015 ein weiterer dramatischer Anstieg der Wohnungslosigkeit um 10 bis 15 Prozent zu erwarten ist. Was bedeutet, dass dann zwischen 270 000 und 280 000 Menschen ohne eigene Wohnung oder ganz auf der Straße leben müssten. Nimmt man allerdings die Mieterbund-Warnungen von 800 000 fehlenden Mietwohnungen bis 2017 ernst, könnten die Aussichten für sozial Schwache und von Kündigung oder Zwangsräumung Bedrohte ein noch ganz anderes Ausmaß erreichen.

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