Die Schiiten sind schuld

  • Fabian Köhler
  • Lesedauer: 2 Min.

„Ich erzähle dir, worum es in dem Konflikt geht: Es gibt Schiiten und Sunniten..." So oder so ähnlich begannen auf meiner letzten Syrienreise ca. ein Dutzend Gespräche. Kurz darauf erfuhr ich meist, dass Schiiten keine Muslime, vor allem aber die größte Gefahr in der arabischen Welt seien. Dass die Intoleranz von sunnitischen gegenüber schiitischen Muslimen weltweit zunimmt, belegt nun auch eine Studie.

2003 reiste ich zum ersten Mal in ein mehrheitlich muslimisches Land und kein Mensch (außer vorurteilsbeladenen Sprachschülern wie mir) interessierte sich für die Konfessionszugehörigkeit seines Nachbarn. Heute lebt die Bevölkerung Bagdads hinter Konfessions-Trennmauern und und in Syrien rufen Fernsehprediger auf, schiitische Frauen und Kinder (oder jene, die sie dafür halten) zu töten.Wie weit verbreitet der Hass auf Schiiten unter anderen Muslimen ist, hat das PEW Research Center in 38.000 Interviews in 39 Ländern untersucht.

Demnach ist die Überzeugung, bei Schiiten handle es sich um keine richtigen Muslime in den meisten arabischen Ländern verbreitet (53% in Ägypten, 50% in Marokko, 43% in Jordanien). Auffällig: Die Zustimmungsrate ist umso geringer, je höher der schiitische Bevölkerungsanteil ist: 18% im Irak und 23% im Libanon. Man kennt das Phänomen aus überwiegend ausländerfreien aber ausländerfeindlichen Regionen Ostdeutschlands.

Von der Empirie zurück zur subjektiven Wahrnehmung: Auch in deutschen Medien kommt immer öfter der Hinweis auf die schiitische Herkunft, wo er eigentlich überflüssig ist: Viele Zeitungsleser wissen, dass Ahmadinejads Atomprogramm auch irgendetwas mit der Prophetennachfolge und Assads Bürgerkrieg auch irgendetwas mit der Ermordung von Mohammads Enkel in der irakischen Wüste vor 1400 Jahren zu tun hat. Beides ist Unsinn, wie die meisten Versuche politische Konflikte religionsgeschichtlich zu erklären. Warum sich der Hass auf Schiiten u.a. besser mit den Morden, die seit zehn Jahren in der irakischen Wüste stattfinden, erklären lässt, hat Guido Steinberg im Mai in der Le Monde diplomatique wunderbar kenntnisreich aufgeschrieben.




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