Hamburger Metamorphose

HSV holt erste Saisonpunkte und fügt Meister Dortmund beim 3:2 die erste Niederlage nach 31 Spielen zu

  • Erik Eggers, Hamburg
  • Lesedauer: 3 Min.

Auch dem Heilsbringer schien der Überschwang der Emotionen irgendwann zu viel. Die Mannschaft sei noch längst nicht da, wo sie eigentlich sein sollte, gab Rafael van der Vaart zu Bedenken. Andererseits hat der 29-jährige Fußballprofi auch ein begnadetes Talent, mit den turmhohen Erwartungen zu spielen, die in Hamburg mit seiner Figur assoziiert werden. »Wenn man den Deutschen Meister schlagen kann«, sagte er leise, »dann kann man jeden schlagen.«

Der überraschende 3:2 (1:0)-Sieg des Hamburger SV gegen Borussia Dortmund hatte viele erstaunliche Geschichten geschrieben. Etwa, dass der BVB nach 31 Spielen ohne Niederlage nun bei jenem Klub verlor, der zwischen Januar 1982 und Januar 1983 36 Mal ungeschlagen geblieben war und damit den Bundesligarekord behält. Auch die Tatsache, dass BVB-Trainer Jürgen Klopp seinem Team öffentlich Lässigkeit vorwarf, verblüffte. Schließlich verteidigt der Meistertrainer seine Schützlinge nach außen stets wie ein Löwe.

Die eigentliche Geschichte dieses Spiels war jedoch die fast unwirkliche Verwandlung des HSV. Noch vor vier Wochen hatte dieses Team gegen Nürnberg (0:1) ein geradezu erbärmliches Bild abgegeben, die Fans hatten sich entsetzt abgewandt, die Stimmung im Volkspark war so, als wäre der Klub, der als einziger in der 50-jährigen Historie der Bundesliga stets dabei war, bereits abgestiegen. Diese Metamorphose in einer Mannschaft, die den Meister schlägt und 57 000 Fans in Euphorie versetzt, ist wahrhaft erstaunlich. Zumal diese Metamorphose ganz offensichtlich bedingt ist durch nur eine Person: van der Vaart. Sein Wechsel hatte die Fans sofort elektrisiert. Sein Name scheint Programm. Rafael kommt aus dem Hebräischen und heißt so viel wie: Gott heilt. Der verlorene Sohn, der bereits von 2005 bis 2008 in Hamburg verehrt wurde, scheint mit seiner Rückkehr den gesamten Kader wie durch Handauflegen geheilt zu haben.

Nun waren nicht allein die scheinbar übersinnlichen Kräfte, sondern auch die irdischen fußballerischen Fähigkeiten des Niederländers dafür verantwortlich, dass der HSV wieder Torgefahr entwickelt. Seine präzise Flanke auf den Kopf von Heung-Min Son hatte die schnelle Führung nach 100 Sekunden besorgt, und auch das 2:1 durch Ivo Ilicevic (55.) hatte van der Vaart mit einem perfekten Steilpass vorbereitet. Zudem war er stets anspielbar, lief viel und verteidigte auch die Dortmunder Angriffe. Er war zweifellos das Zentrum des HSV-Spiels. »Es war ein wunderschönes Gefühl, endlich wieder in meinem Stadion zu spielen«, sagte er.

Andererseits wusste er, dass sein Team auch viel Glück und einen formstarken Keeper René Adler benötigt hatte, um die ersten Punkte dieser Saison einzufahren. Einerseits waren die überlegenen Dortmunder höchst fahrlässig mit ihren 26 Torchancen umgegangen, allein Ivan Perisic traf mit einer verunglückten Flanke (46.) zum 1:1 und mit einem Abstauber (60.) zum 3:2. »Wir hätten sieben oder acht Tore schießen müssen«, haderte BVB-Innenverteidiger Mats Hummels. Aber auch Hummels hatte, wie sein Nebenmann Neven Subotiv, unfassbare individuelle Fehler produziert. So den Fehlpass in unbedrängter Lage zu Son, den dieser mit einem Solo zum 3:1 (59.) ausgenutzt hatte.

Spieltaktisch ist der HSV also, wie van der Vaart anmerkte, tatsächlich noch nicht auf der Höhe, speziell der Spielaufbau ist immer noch katastrophal. Da aber auch der kroatische Neuzugang Milan Badelj gute Ansätze zeigte, dürften diese Defizite jedoch zu beheben sein. Bedeutsamer für die Verfassung des Teams ist, dass es eine der wichtigsten Eigenschaften im Fußball wieder zurückgewonnen hat: Den Glauben an die eigenen Fähigkeiten. Dank van der Vaart.

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