Ein Ausschuss, der nichts wissen will

Sportausschuss will Zielvereinbarungen nicht im Detail kennen

  • Oliver Händler
  • Lesedauer: 4 Min.
Erstmals nach Olympia tagte der Sportausschuss des Bundestags. Es ging vor allem um die umstrittenen Medaillenvorgaben, die der Deutsche Olympische Sportbund mit den einzelnen Sportfachverbänden ausgehandelt hat. Der Ausschuss, der seit fast einem Jahr nicht öffentlich tagt, will an der Geheimniskrämerei in Sachen Zielvereinbarungen festhalten.

»Gott sei Dank ist die Entscheidung so gefallen«, sagt Staatssekretär Christoph Bergner. Einem Politiker der Christlich Demokratischen Union sei die Wortwahl mal gestattet, auch wenn Gottes Einfluss auf die Abstimmung der Koalitionskollegen im Sportausschuss des Deutschen Bundestags wohl nicht so groß war wie der von Bergner selbst. Die SPD hatte einen Antrag eingebracht, nach dem die Bundesregierung Zielvereinbarungen zwischen dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und seiner Fachverbände für alle zukünftigen Olympischen Spiele dem Sportausschuss zugänglich hätte machen sollen. Er wurde von der Koalitionsmehrheit abgelehnt. »Wir sind nicht ermächtigt, Vereinbarungen Dritter ohne Genehmigung herauszugeben«, hatte Bergner zuvor gemahnt und so die Seinigen auf Linie gebracht.

Das für den Sport zuständige Bundesinnenministerium (BMI) darf also weiter knapp 130 Millionen Euro in den Leistungssport pumpen - ohne parlamentarische Kontrolle. Dabei hatten zwei Gerichte in jüngster Zeit ganz andere Rechtsauffassungen vertreten und das BMI verpflichtet, zumindest Journalisten auf Anfrage die Medaillenvorgaben der Verbände auszuhändigen.

Doch hier liegt auch das Problem. Das Gericht verdonnerte Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) bislang nicht ausdrücklich dazu, die gesamten Zielvereinbarungen offenzulegen. Zunächst ging es nur um simples Medaillenzählen. Dabei wollten die klagenden Journalisten des »WAZ-Rechercheblog« und die Opposition vielmehr erfahren, wie genau das Geld ausgegeben wird. Welche Trainingslager in warmen Gefilden sind wirklich notwendig? Wie viel verdienen Trainer, was kostet eine Kältekammer? Nur so könnten die Bürger-Vertreter demokratisch entscheiden, ob sie weniger - oder vielleicht sogar mehr - für den Leistungssport ausgeben wollen.

Geht uns nichts an, meint aber das BMI, schließlich sei der Sport autonom. Die Daten Dritter müssten unbedingt geschützt werden. Und der Sportausschuss macht mit, beschneidet durch das Votum der Koalition seine eigenen Rechte. »Nachdem die Beschwerde gegen die Veröffentlichung vom Oberverwaltungsgericht abgelehnt wurde, müssen DOSB und BMI ihr Versteckspiel endlich beenden«, hatte die Ausschussvorsitzende Dagmar Freitag (SPD) noch gefordert, blieb aber ungehört.

»Auf lange Sicht kann das BMI das nicht durchhalten«, prophezeite Jens Petermann, Ausschussmitglied und rechtspolitischer Sprecher der LINKEN. Das widerspreche dem Informationsfreiheitsgesetz. Vor Gericht hat es das BMI bislang versäumt zu erläutern, welche Geschäftsgeheimnisse der Sportverbände überhaupt bedroht sind. Petermann kennt sie auch nicht. »Auch wir haben die Zielvereinbarungen ja immer noch nicht zu Gesicht bekommen«, sagt er. So dreht sich die Diskussion im Kreis.

Vor diesem Hintergrund ließ sich auch schwerlich diskutieren, ob die Spiele in London für die deutschen Athleten denn wirklich ein Erfolg waren, wie es DOSB-Generaldirektor Michael Vesper am Rand der nicht öffentlichen Sitzung erneut betonte: »Bei den Platzierungen zwischen 1 und 8 haben wir uns um 17 Prozent gegenüber Peking gesteigert.« Das zeige, dass das System der Zielvereinbarungen schon Früchte trage, obwohl es erst seit 2008 in dieser Form angewandt wird.

Trotzdem hatten sich in den vergangenen Tagen kritische Stimmen von Sportlern und Verbänden gemehrt, die eine erneute Reform anmahnten. »Damit wird deutlich, dass eine breite Debatte gewünscht und auch notwendig ist«, sagte SPD-Politikerin Freitag. Doch kein Kritiker war am Mittwochabend in den Bundestag geladen worden.

Vesper gab sich durchaus aufgeschlossen. »Ich begrüße zunächst jeden konstruktiven Vorschlag. Allerdings sind wir ein System, das demokratischen Regeln unterliegt. Deshalb sollten Vorschläge in die Gremien einfließen, bevor sie in der Zeitung erscheinen«, sagte er wohl wissend, dass die Verbände schon mit den Hufen scharren, sprich: ihre eigenen Haushaltspläne beschließen müssen. An potenziell langwierigen Diskussionen ist ihnen derzeit kaum gelegen. Auch Gerhard Böhm, Abteilungsleiter Sport im BMI, sagte: »Der Bundeshaushalt muss bis Anfang November stehen. Ich weiß nicht, wie da noch grundlegende Veränderungen durchgesetzt werden sollen.«

Also wird an den Zielvereinbarungen mit Medaillen festgehalten - und an den Geheimnissen auch. Die könnten derzeit nur die Sportfunktionäre lüften. »Wir werden mit den einzelnen Verbänden über die Veröffentlichung diskutieren und sicherlich zu einer einheitlichen Lösung kommen«, versprach Vesper. Dass diese nicht allumfassend sein wird, verdeutlichte der neben ihm stehende Rainer Brechtken, Präsident des Deutschen Turner-Bundes: »Es gibt auch Bereiche, die ich doch bitte weiter intern verhandele. Ich will nicht, dass die internationale Konkurrenz gleich am nächsten Tag all das in der Zeitung liest, was wir vorhaben. Warum soll ich die Vereinbarungen dem Sportausschuss denn offenlegen? Der kontrolliert mich nicht. Wenn er ein Problem sieht, soll er sich an die Bundesregierung wenden.« Wie gesagt. Das will der Ausschuss offenbar nicht.

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