Zwischen »tiefem Mitgefühl« und möglicher Kumpanei

Tod in der Ostsee oder: Warum Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen die Deutsche Marine nur zur Einstellung des Verfahrens führen

  • René Heilig
  • Lesedauer: 6 Min.
Am 6. März ertranken zwei Matrosen der deutschen Fregatte »Mecklenburg-Vorpommern«. In der Ostsee lief die NATO-Übung »Strong Resolve 2002«. Die für Ermittlungen zuständige Staatsanwältin in Oldenburg zeigte »tiefes« Mitgefühl und stellte das Verfahren ein.
So kommen mir die nicht davon!« Wolfgang Scheffelmeier, der Vater eines der ertrunkenen Matrosen, glaubt der Marine kein Wort mehr seitdem sie ihm und auf der Pressekonferenz die Unwahrheit gesagt hat. Sein Sohn Samuel - genannt Sammy - und dessen Kamerad Stefan Paul könnten noch leben, hätten sie nur ihre Schwimmwesten richtig angelegt, behaupteten Marineoffiziere. Vater Scheffelmeier will die Wahrheit wissen und letztlich damit anderen Matrosen vielleicht das Leben retten helfen. Dabei hoffte er auch auf die zuständige Staatsanwaltschaft in Oldenburg. Doch die zeigt sich - vorsichtig formuliert - wenig geneigt, ihre Pflicht zu tun. Der tödliche Unfall ereignete sich bei einem Routinemanöver. Drei Matrosen der »Mecklenburg-Vorpommern«, das ist eine Fregatte neuesten Typs, waren von ihren britischen Kameraden auf die HMS »Cumberland« eingeladen. Als das Wetter schlechter wurde, beeilte man sich mit dem Rücktransport zum querab laufenden deutschen Kriegsschiff. Doch das britische Speedboat kenterte, die beiden britischen Bootsführer und die drei Deutschen trieben in der mit nur drei Grad eisigen Ostsee. Bei der anschließenden Rettungsaktion kam es auf Ihrer-Majestät-Kriegsschiff zu haarsträubenden Pannen. Auf der Brücke stand ein dafür nicht lizensierter Offizier, der fuhr das Schiff nur mit einer Schraube, was die Manöverfähigkeit herabsetzte, man unterließ übliche seemännische Notrufe, Rettungsmittel funktionierten nicht, die Ausguckstationen waren ungenügend besetzt, so dass der 21-jährige Obergefreite Scheffelmeier, unbemerkt abtrieb... Der britische Untersuchungsbericht liest sich wie ein Kompendium seemännischer Unfähigkeit. Die Frage lautet, ob dem Kommandanten der deutschen Fregatte, deren Befehlsgewalt die drei deutschen Matrosen unterstellt waren, mögliche Hilfe unterlassen hat. Um das herauszufinden, stellte Scheffelmeiers Anwalt Peter Wüller aus dem nordrhein-westfälischem Werther am 21. März 2002 Strafanzeige gegen Fregattenkapitän Frank M. Seither wurde die Akte dicker und dicker. »Je mehr wir nachfragten bei zuständigen Stellen, bei Zeugen und Sachverständigen, umso mehr Ungereimtheiten tauchen auf«, sagt Wüller, der ziemlich überrascht war, dass die Staatsanwaltschaft urplötzlich alle Nachforschungen einstellte. Das war am 30. August. Umgehend legte er bei der Generalstaatsanwaltschaft in Oldenburg Beschwerde ein. Seither hat er von dort nichts mehr gehört und es wäre »ein Wunder« wenn vor Jahresende überhaupt noch eine Reaktion erfolgt. Amtsmühle oder Verschleppung? Wüller kann beides nicht ausschließen. Schon weil ihm die beantragte vollständige Akteneinsicht noch immer nicht gewährt wurde. Noch immer wird ihm der 400-seitige Havarie-Bericht der Bundesmarine vorenthalten - ein Bericht, der dem Verteidiger des Fregatten-Kommandanten selbstverständlich zur Verfügung gestellt wurde. Der hatte nämlich mit dem Hinweis auf genau dieses Dokument die Einstellung des Ermittlungsverfahrens beantragt. Ein Blick in diesen Bericht bestätigt, dass auch bei der Deutschen Marine jene Schlamperei zu Hause ist, die in Afghanistan Feuerwerker vom Heer und in den USA Tornado-Piloten der Luftwaffe das Leben kostete. Um einiges mal ins zivil Nachvollziehbare zu rücken, stelle man sich vor, dass einer Ostseefähre die Fahrgenehmigung erteilt wird, obwohl das Rettungsboot nicht zu Wasser gelassen werden kann. Beim Militär klappt das. Und zwar per Anweisung des Marineamtes. »MarA-ML 42« hatte bereits am 2. November 2001 »aufgrund sicherheitstechnischer Mängel« verfügt, dass der Bootsaussetz- und Ladekran stillgelegt wird. Die Ausnahmegenehmigung zur Fahrt mit »reduzierten Gruppenrettungsmitteln« galt bis zum 30. Juni 2002. Schließlich so bestätigte das Referat IV 5 des Verteidigungsministeriums, hatte die Fregatte ja noch ein Motorrettungsboot an Bord. Fragt sich, warum der Kommandant das nicht eingesetzt hat. Spätestens als er - wie rund hundert weitere Crew-Mitglieder der deutschen Fregatte - die untauglichen Manöver der »Cumberland« beobachtete, die zu keinem Rettungserfolg führten. Eine mögliche Antwort findet sich wiederum im Havariebericht der Marine. Es fehlte der zur Besatzung gehörende Sanitäter. Zwar hatte man ihn ausgerufen, doch da in den Niedergängen und in anderen Räumlichkeiten der »Mecklenburg-Vorpommern« Lautsprecherdurchsagen nicht zu hören sind, kann ihn der Befehl nicht erreicht haben. Ein anderer Grund scheint jedoch den Ausschlag für die Zurückhaltung des Rettungsbootes gegeben zu haben. Bei dem Wellengang wäre eine Wiederaufnahme des Bootes schwierig gewesen. Zumindest für den Mann, der das pendelnde Stahlseil mit Umlenkrolle in den Sliphaken hätte zirkeln müssen. Das Argument kann Rechtsanwalt Wüller nicht teilen. Für ihn zählt ein Menschenleben mehr als die Mühe, das Fregatten-Beiboot möglicherweise in Schlepp zu nehmen und zwar so lange, bis sich eine Wiederaufnahme unkompliziert bewerkstelligen lässt. Peter Wüller verweist auf die Untersuchung des Havarieausschusses vom Marineamt Rostock. Er kommt zu dem Ergebnis, »dass ein Einsatz des Motorrettungsbootes möglich und geboten gewesen wäre«. Vater Wolfgang Scheffelmeier reagiert noch immer ungläubig. Kann es wirklich sein, so fragt er, dass »die ins Manöver ziehen ohne geeignetes Rettungsboot?« Noch ungläubiger schaut er, wenn man ihm sagt, dass die »Mecklenburg-Vorpommern« anschließend bis ans Horn von Afrika geschickt worden ist, um dort im Verbund mit anderen deutschen und ausländischen Kriegsschiffen Al-Qaida-Nachschublinien zu unterbrechen. Offenbar will man nicht, dass unsere »ruhmreiche Marine« als »Schlamperhaufen« dasteht, sagt Scheffelmeier mit bitterem Zynismus und bezieht die Staatsanwaltschaft in dieses »Nicht-Wollen« ein. Für den Verdacht finden sich Belege. So hat die zuständige Staatsanwältin mehrere Telefonate mit dem Rechtsberater der Flotte sowie mit Leuten aus dem Führungsstab der Marine geführt, deren Inhalte nicht belegt sind. Und mehr noch, man traf sich. Was dabei beredet wurde, taucht nicht einmal in einer klitzekleinen Aktennotiz auf. Das Handeln der staatlichen Ermittler in Oldenburg erinnert fatal an das ihrer Kollegen in Stralsund, die den 1999er noch immer ungeklärten Untergang des Fischkutters »Beluga« nicht mit der gebotenen Sorgfalt bearbeitet haben, weil möglicherweise deutsche oder andere NATO-Marineeinheiten involviert waren. Wie damals, so ließ auch jetzt eine Staatsanwaltschaft notwendige Untersuchungen von der Marine, also letztlich vom Beschuldigten selbst, führen. Weder schalteten die zivilen Ermittler unabhängige Sachverständige ein, noch vernahmen sie Zeugen im notwendigen Umfang. Doch allein die vor der militärischen Havariekommission gemachten Aussagen, die der Staatsanwaltschaft vorliegen, hätten einen unvoreingenommenen Ermittler stutzig machen müssen. So gab der Hauptbootsmann der deutschen Fregatte an, er habe den Kommandanten drei Mal darüber informiert, dass das Motorrettungsboot zum problemlosen Aussetzen bereit sei. Ein weiterer Beleg für die Schuld der Marine am Tod der beiden Wehrpflichtigen lässt sich indirekt aus den Schlussfolgerungen ableiten, die nun gezogen wurden und werden. Bis Mitte 2003 - so geht es aus einem internen Papier des Verteidigungsministeriums hervor - werden die Fregatten der Bundesmarine mit neuen Bootsaussetz- und Ladekränen ausgestattet. Bis Ende des kommenden Jahres sollen die Matrosen mit neuen Kälteschutzanzügen ausgerüstet werden, die auch bei Bootstransfers anzulegen sind. Solche Anzüge verhinderten beispielsweise bei dem britischen Seemann und seiner Kameradin, die wie die Deutschen im eiskalten Ostseewasser trieben, eine Unterkühlung. Festgestellt hat die deutsche Marineführung ebenfalls, dass die Rettungsausbildung ihrer Matrosen ungenügend ist. Ein Ausbildungsfilm soll helfen, diesen Mangel zu beheben. Zudem muss nun die richtige Handhabung der Schwimmwesten häufiger geübt werden. Sammys Vater und Rechtsanwalt Wüller befürchten, dass ihre Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen »auch auf der Ebene Oberstaatsanwalt vom Tisch gewischt werden«. Für diesen Fall bereiten sie eine Klage vor. Die - wenn die Staatsanwaltschaft ihre seltsam undokumentierten Beziehungen zum Beschuldigten weiter pflegt - auch auf Strafvereitlung im Amt erweitert werden könnte.
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