Soja um jeden Preis?

Anbau für Brasilien Chance und Fluch zugleich

  • Prof. Dr. Erika Czwing
  • Lesedauer: 4 Min.
Globalisierung Ja oder Nein? Wir Mitteleuropäer stecken mitten drin - noch auf der Gewinnerseite. Das zeigte die Tagung »Soja - so nein!«, die die Evangelische Akademie Loccum ausrichtete.
Inspiriert von dem Motto »global denken, lokal handeln« begann Ende 1999 unter Leitung der Sozialökonomin Kerstin Lanje ein Projekt, das zunächst auf die nachhaltige Gestaltung des »Soja-Stroms« aus Brasilien nach Niedersachsen und seine dortige Verfütterung konzentriert war. Nach dreijähriger Arbeit zeigte die Studienleiterin an der Akademie, dass die Erkenntnisse eine kritische Sicht auf die deutsche und europäische Außenhandels-, Agrar- und Entwicklungspolitik herausfordern. Soja ist die wichtigste großräumig transportierbare Quelle von pflanzlichem Eiweiß, das insbesondere als Futter benötigt wird. Nach Berechnungen der UNO-Ernährungsorganisation FAO hat sich der Fleischverbrauch weltweit seit 1950 vervierfacht. Entsprechend wuchs die Nachfrage nach Eiweißfutter auf dem Weltmarkt. Klimatisch geeignete Regionen, darunter die Südstaaten der USA, Brasilien und Argentinien nutzten die Chance, Soja auch in hohem Maße für den Export anzubauen. Von der Weltproduktion (2001 waren es 181 Millionen Tonnen) entfallen 24 Prozent auf Brasilien. Allein die EU, die kaum Soja-Standorte hat, importiert 34 Millionen Tonnen Bohnen und Schrot, darunter die BRD 6 Millionen Tonnen. Unsere leistungsfähige Landwirtschaft, insbesondere aber die Intensivmastbetriebe und Eierfabriken in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sind ohne Soja-Importe undenkbar. Die Ergebnisse des Projekts machen deutlich: Für Brasilien ist Soja eine Chance - und ein Fluch. Zunächst wurde Soja verstärkt angebaut, um den Hunger und besonders den Eiweißmangel der Armen zu bekämpfen. Bis heute bietet Soja einen willkommenen Zuverdienst zur Subsistenzwirtschaft und zur vielseitig strukturierten Produktion in den Familienbetrieben des brasilianischen Südens. Stimuliert durch anfangs hohe Weltmarktpreise und gezielte Fördermaßnahmen der Regierung, entwickelte sich ein Soja-Boom. Dieser kam aber vor allem den Großgrundbesitzern - mittlerweile eng mit ausländischem Kapital verflochten - zugute. Anschaulich schilderten die brasilianischen Tagungsteilnehmer die katastrophalen Auswirkungen der, wie sie es bezeichnen, »konservativen Modernisierung« der Landwirtschaft. Die Gier der Latifundistas nach immer mehr Land führte zur Vertreibung von Millionen Kleinbauern, die keinen Landtitel nachweisen konnten, auch mit Hilfe von korrupten Politikern und Gerichten. Seit den 60er Jahren sind 40 Millionen Menschen in die Städte gezogen und hausen unter menschenunwürdigsten Bedingungen. Die Sojabohne wird, von Ausnahmen in den Familienbetrieben im Süden abgesehen, in Monokultur angebaut. Die damit verbundene ungebremste Chemisierung führt zur Vergiftung ganzer Landstriche und riesiger Wassereinzugsgebiete mit der Folge von Fischsterben und Vertreibung der indigenen Bevölkerung. Auf den Soja-Plantagen herrschen Arbeitsbedingungen wie im Mittelalter. Die noch verbliebenen Landarbeiter haben nur in der Saison Beschäftigung. Kinderarbeit und Schuldknechtschaft sind an der Tagesordnung, bis zur Sklaverei. Die »Agrarfront« dringt immer weiter in den tropischen Regenwald und die ökologisch genauso bedeutsamen Savannen des Serrado vor. Nach Einschätzung des WWF hat das Tiermehlverbot der EU und damit die Nachfrage nach Soja indirekt eine Million Hektar Regenwald vernichtet. Zu Recht fragen die Brasilianer uns Deutsche: Wollt Ihr wirklich solches Soja? Oder können wir uns einigen auf eine faire, für beide Seiten nachhaltige Arbeitsteilung mit Handel zu aller Vorteil? Was angesichts der Macht des internationalen Finanzkapitals und des allseits kultivierten Egoismus der Wohlstandsgesellschaften zunächst wie eine Illusion erscheinen mag, wurde Auf der Loccumer Tagung wurden konkrete Lösungsansätze erörtert. Wie kann umgedacht und umgesteuert werden?Bundesregierung und Europapolitiker müssen in den WTO-Verhandlungen den Widerstand gegen die durch interne Stützungen mögliche Dumpingpolitik der USA verstärken. Der Preisverfall für Soja muss aufgehalten werden. In Brasilien ist die genossenschaftliche Organisation der Landlosen, Kleinbauern und Familienbetriebe, für die es bereits hervorragende Beispiele gibt, weiter auszubauen. Der Aufbau eigener Vermarktungslinien und von Direktbeziehungen zu deutschen Abnehmern sollte von beiden Regierungen aktiv unterstützt werden. Die bereits weit vorangeschrittenen Arbeiten zur Zertifizierung von Soja, das mit ökologischen und sozialen Mindeststandards erzeugt wird, sollten schnell übergeleitet werden. Soja für die menschliche Ernährung und für den Bio-Landbau sollte in Deutschland nur aus dieser Produktion stammen. Um den Druck auf immer weiter steigenden Sojaanbau in Brasilien, der nachhaltig nicht zu sichern ist, zu mindern, muss die EU ihre eigenen Eiweißquellen besser erschließen. Forschungen zu bodenständigen Eiweißpflanzen und entsprechende Förderpolitik, verstärkter Einsatz synthetischer Aminosäuren und nicht zuletzt die Aufhebung des Tiermehlverbots wären wirksame Schritte. Auch die Nachhaltigkeit unserer Lebensweise wurde auf den Prüfstand gestellt, insbesondere der hohe Fleischverbrauch. Etwa 60 bis 70 Milliarden Euro Ernährungs- und 50 Milliarden Euro Umweltschäden, vor allem durch den Eintrag von Stickstoff auf den Intensivmast-Standorten, waren als Belastung der gesamten deutschen Gesellschaft im Gespräch. Nun bringt der Verzicht auf ein Schnitzel noch längst nicht das Geld zu den Hungernden in Brasilien. Aber vernünftige Nutzung der eigenen Ressourcen in den reichen Ländern gepaart mit fairer Kooperation mit den Akteuren in der Dritten Welt könnte den Spielraum für sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltige Politik auf beiden Seiten erweitern.
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