Eine Anerkennung als Spätaussiedler setzt künftig grundlegende Sprachkenntnisse voraus. Der Verwaltungsgerichtshof von Baden-Württemberg hat damit eine Regelung des gescheiterten Zuwanderungsgesetzes vorweggenommen.
Berlin (ND-Kalbe). Nach dem am Donnerstag in Mannheim veröffentlichten Urteil erhält den Status eines Spätaussiedlers nur noch, wer bei der Einreise ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen kann. Abgesehen davon, dass diese Bewertung problematisch ist, hat das Gericht damit erstmals den Rang der Sprache höher bewertet als die Abstammung. Umso mehr, als das Gericht keinen Zweifel hatte, dass der 36-jährige Antragsteller aus Russland Deutschstämmiger ist. Dennoch habe er nur einzelne Worte auf Deutsch sprechen und auf einfache Fragen nur stockend antworten können.
Damit ist allerdings der Status von Spätaussiedlern generell in Frage gestellt. Das Abstammungsprinzip allein rechtfertigte deren besonderen Status und ist auch der Grund, wieso Unionspolitiker bei diesem Thema regelmäßig zu wahren Migrationsaktivisten werden. Wenn Sprachkenntnis ihm gegenüber vorrangig wird, verschwimmen die Grenzen zu sonstigen Migranten - etwa Afrikanern mit guten Deutschkenntnissen. Tatsächlich hatte das Zuwanderungsgesetz die besondere Behandlung von Aussiedlern eingeschränkt. Nachdem bereits in den vergangenen Jahren mit der Einführung von Deutsch-Pflichtkursen in den Herkunftsländern die Schwelle eines ungehinderten Zuzugs erhöht worden waren, sah das Gesetz, das erneut in den Bundestag eingebracht werden soll, jene nun von den Mannheimer Richtern beschlossene »Aufnahmeprüfung« vor.
Der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Jochen Welt, hat wiederholt auf die veränderte Zusammensetzung der Aussiedler hingewiesen. Gegenüber früheren Jahren, als rund 75 Prozent von ihnen deutschstämmig und 25 Prozent mitreisende Familienangehörige waren, hat sich das Verhältnis inzwischen umgekehrt. Zu nur noch 22 Prozent werden die Anträge auf Übersiedlung noch von Nachfahren der einst vom Zaren nach Russland eingeladenen Deutschen gestellt. Dies hat schwere Integrationsprobleme zur Folge.
Doch die Zahlen nehmen auch insgesamt ab. Wie Welt am Donnerstag mitteilte, reisten im letzten Jahr nur noch 91416 Personen ein - gegenüber 98484 Spätaussiedlern 2001. Mehr als eine Million Deutschstämmige leben noch jenseits des Ural, über 700000 davon in Russland und etwa 300000 in Kasachstan.
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen.
Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf
www.dasnd.de/genossenschaft