- Wirtschaft und Umwelt
- „Verquer“ von ULRICH KARGER
Nächstenliebe ?
Ulrich Karger ist 1957 in Berchtesgaden geboren und lebt heute mit Frau und zwei Kindern in West-Berlin. Im Nebenberuf Literaturkritiker und Autor, im Brotberuf Lehrer. So knapp könnte man den Autor der Roman-Collage „VER-QUER“ beschreiben - und hätte damit alles über ihn verschwiegen. Aufgewachsen im „stockkatholischen Bayern“, würde er selbst hinzufügen, denn diese Kindheitsund Jugenderfahrungen sind es, die in ihm weiter nagen, die er zu verarbeiten versucht. Auch im Brotberuf. Denn er ist nicht einfach Pauker, sondern Katechet (Religionslehrer) an einer Sprachheilschule in Neukölln, und das zwingt ihn (oder er hat es sich selbst so ausgesucht), sich jeden Tag neu und in der harten Praxis mit dem zu befassen, Was für ihn der Kern des Christentums ist: Nächstenliebe, Toleranz, Glaube an eine humanistische (Um- )Welt – im Dienste einer vorbildlichen Institution, der Kirche.
Aber diese Institution schweigt ihm allzu oft zu dem „Dreck am Stecken“ in ihrer Geschichte. Und auch er selbst hat von den christlichen Eltern mehr Leiden als Liebe erfahren: „Also, wohin mit der Qual, die ein Kind erstmal nur zu schlucken hatte?“ Mit reifen 33 Jahren hat Karger nun seine harten, teilweise brutalen Kindheitserfahrungen zu Papier gebracht. Er läßt die Hauptgestalt seines Buches, Johannes Krummbiegel, gesellschaftliche Doppel-Züngigkeit, bigotten Zynismus und kleinbürgerliches Intrigantentum noch einmal durchleben: Er hat „Ereignissen beigewohnt, bei denen ihn die Wut packte, die er auch erklären
Ulrich Karger: Verquer. Roman-Collage. Österreichisches Literaturforum Wien. 112 Seiten, Paperback, 11 DM.
und rechtfertigen mochte, dann aber sagte er nur noch: Wahnsinn, alles Wahnsinn, und dann sagte er nichts mehr.“
Karger arbeitet mit Ironie gegen den Zynismus an, benennt die professionellen Christen, schreibt einen Brief an Jona, der drei Tage und Nächte im Bauch des Fisches war, streut Gedichte ein, satirische Skizzen und groteske Glossen, Märchen (es wären einmal der liebe Gott und der verhaßte Teufel auf einem Spaziergang ... und unterhielten sich über Krieg). Vom Ashram des Guru im Rolls Royce bis zum ehrwürdigen Zen-Buddhismus des fernen Ostens findet Johannes Krummbiegel alles ...interessant. Natürlich nur aus Gründen der Provokation - gegen die Eltern, Lehrer, den Pfarrer, einfach alle: „Hauptsache: fremd, bizarr und ganz, ganz anders!“ Er entwickelt ein eigenes „Überlebens-Programm“, legt sich das „rettende Mantra DASKANNALLESGAR-NICHTWAHRSEIN“ zu... Viel später macht er sich dann auf, endlich erwachsengeworden, um den Konflikt mit den Eltern in „reifer Streitkultur“ zu beenden - aber alles kommt ganz anders ...
Karger hat sich vieler Stilformen bedient, um sein Thema einzukreisen. Besonders erfreulich: es gelingt ihm, ohne erhobenen Zeigefinger, zuweilen sogar kurios, immer ohne zu missionieren oder den Moralapostel zu spielen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.