Therapie für »Systemsprenger«

Projekt in Mecklenburg-Vorpommern behandelt Borderliner

  • Ellen Krüger
  • Lesedauer: 3 Min.
Von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt, und alles innerhalb weniger Augenblicke - das ist wohl die klassischste aller Beschreibungen für das Krankheitsbild eines »Systemsprengers« oder auch Borderliners genannt. Was sich halbwegs nüchtern anhört ist für die Betroffenen, zunehmend junge Frauen, ein wahrhaftes Desaster. Nicht selten endet die Persönlichkeitsstörung des Borderline-Syndroms mit Selbstmord.
Das Institut für Sozialpsychatrie Mecklenburg-Vorpommern an der Greifswalder Ernst-Moritz-Arndt-Universität hat mit dem Warener Verein Wegweiser e.V ein Projekt ins Leben gerufen, das ambulante Therapien entwickeln will. Bei den Betroffenen handele es sich um »schillernde, auffällige Persönlichkeiten«, die so ziemlich jeden Menschen in ihren Bann ziehen, berichtet Sabine Pyrek, psychiatrische Fachtherapeutin. Borderliner denken in Extremen. Für sie gibt es nur schwarz oder weiß, gut oder Böse. Stabil sei bei diesem Krankheitsbild lediglich die Instabilität.
»Betroffene schaffen ohne große Mühe, ihr gesamtes Umfeld zu beschäftigen«, führt die Ergotherapeutin Elke Ockert an. Sie befänden sich in einer ständigen Krise, pendeln täglich zwischen Neurose und Psychose. Da sie ständig unter Spannung leben und diese nicht abbauen können, komme es zwischen den Phasen zu Zusammenbrüchen. Dabei kann es zu Selbstverletzungen kommen. Die Kranken ritzen sich mit scharfen Gegenständen oder schlagen mit dem Kopf gegen die Wand, um den eigenen Körper wieder zu fühlen.
Statistiken zufolge leiden fünf Prozent aller Frauen in Industriestaaten an diesem Syndrom. Besonders schwierig ist das Verhalten der Borderliner in Beziehungen. Die meisten seien dazu gar nicht fähig, obwohl sie sich nach Nähe und Liebe sehnen. Borderliner haben ein sehr geringes Selbstbewusstsein und ständig das Gefühl, nicht zu genügen. Alles was sie tun, tun sie im Übermaß. »Sie kennen keine Grenzen. In ihrer Wut sind sie unberechenbar, in ihrer Zuneigung neigen sie dazu, einen zu erdrücken, einen vollständig zu vereinnahmen«, erzählen die beiden Warenerinnen Therapeutinnen. Ihnen haben die gegenwärtig sechs in der Betreuung befindlichen Borderliner-Patientinnen schon so manche schlaflose Nacht beschert. In der Tagesstätte des Wegweiser e.V. versuchen sie, den Betroffenen einen gewissen strukturellen Halt zu geben. Es wird genau festgelegt, wie lange die Betroffenen sich in der Tagesstätte oder auch im Betreuten Wohnen aufhalten.
Die Ursachen für diese Persönlichkeitsstörung können verschiedenster Natur sein. So können sie beispielsweise im sexuellen Missbrauch in der Kindheit liegen, in traumatischen Erlebnissen oder Konflikten im Jugendalter, ganz besonders in der Phase der Trennung vom Elternhaus. Der Warener Verein will mit diesem Betreuungsangebot Borderlinern eine Möglichkeit geben, in ein normales Leben zurückzufinden. Die Chancen dafür, dass sie komplett geheilt werden, sind momentan noch nicht gegeben. »Es fehlen ambulante Therapie-Angebote für die "Systemsprenger". Nach einem Klinikaufenthalt sind sie oftmals wieder sich selbst überlassen«, so die Mitarbeiterinnen des Vereins. Es sei auch nicht möglich, die Betroffenen mit anderen psychisch Kranken gemeinsam zu therapieren. Der Bedarf für ambulante Therapien sei enorm, viele wissen lange Zeit nicht, dass sie krank seien.

Verein Wegweiser e.V., Schleswiger Straße 8, 17192 Waren/Müritz,
Tel.: (03991)732547, Fax: (03991)732999,
Einweisung von Borderline-Patienten nur über den medizinischen Dienst.
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