- Wirtschaft und Umwelt
- AKW Biblis
Mysteriöser Atomunfall
Abgestürztes Brennelement soll geborgen werden
Einen halben Meter tief abgestürzt
Über solche Abklingbecken verfügen sämtliche Reaktoren. In diesen Bassins sollen die verbrauchten Brennstäbe einen Teil ihrer extrem hohen Radioaktivität abgeben, bevor sie dann in ein Zwischenlager oder zur Wiederaufarbeitung transportiert werden können.
Nach Angaben aus dem Atomkraftwerk hatte ein Kran gerade die 800 Kilogramm schwere Metallröhre aus dem Lagergestell im Abklingbecken herausgehoben, als das Brennelement sich von seinem im Greifer des Krans befestigten Kopf löste und einen halben Meter tief abstürzte. Das Brennelement steht seitdem schräg auf der Oberkante des Lagergestells im Abklingbecken. Möglicherweise sei das ganze Konstrukt gegen den Rand des Lagergestells oder des Transportbehälters gestoßen, mutmaßt ein Sprecher des Kraftwerks.
Warum der mehrfach verschraubte und verschweißte Kopf dabei abgerissen ist, wissen die Fachleute bislang aber nicht. Martin Waldhausen vom Bundesumweltministerium hält einen Konstruktionsfehler an dem betroffenen Brennelement als Ursache ebenso für möglich wie einen Bedienungsfehler der Mannschaft im Reaktor. Waldhausen zufolge handelt es sich bei dem Absturz des Brennelementes offenbar um den weltweit ersten Unfall dieser Art. Ein vergleichbarer Fall sei der Bundesregierung bislang jedenfalls noch nicht zu Ohren gekommen.
Heute wollen Experten mit der Bergung des Brennelements beginnen. Wie diese erfolgen soll, war am Wochenende noch völlig unklar. Bei mehreren Ortsterminen hatten sich Vertreter des Kraftwerksbetreibers RWE, der Aufsichtsbehörden und des TÜV noch nicht auf ein bestimmtes Vorgehen verständigen können. Ein Sprecher der hessischen Landesregierung erklärte, dass erst nach einer Bergung über weitere mögliche Beschädigungen am Brennelement oder im Abklingbecken informiert werden könne.
Hinweise auf bei dem Unfall ausgetretene Radioaktivität gibt es bislang angeblich nicht. Die hessischen Grünen verlangen dennoch einen Bericht des zuständigen Landesumweltministers Wilhelm Dietzel (CDU) gegenüber dem Landtag. Es müsse nun vor allem geklärt werden, wie ein derartiger Vorfall für die Zukunft ausgeschlossen werden könne, sagte die umweltpolitische Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion, Ursula Hammann. Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) forderten in einem offenen Brief an Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) die sofortige Stilllegung der beiden Reaktorblöcke in Biblis und warfen RWE fehlende Zuverlässigkeit vor.
Ein vertuschter Beinahe-GAU
Der Block B des Atomkraftwerks Biblis ist bereits seit 1977 im Leistungsbetrieb, Block A wurde sogar schon zwei Jahre vorher ans Stromnetz angeschlossen. Damals war Biblis das größte AKW der Welt - beide Blöcke sind mit Druckwasserreaktoren von jeweils rund 1300 Megawatt Leistung ausgerüstet. Der von RWE ursprünglich geplante Ausbau um zwei weitere Blöcke scheiterte am Protest der Bevölkerung und letztendlich auch am fehlenden Bedarf. Seit Jahren drückt sich das Stromunternehmen vor eigentlich notwendigen Nachrüstungen insbesondere im Block A - sie würden Milliarden kosten und die Profitabilität der Anlage beeinträchtigen. 1987 ereignete sich in Biblis der bisher wohl dramatischste Unfall in einem deutschen AKW. Durch einen Bedienungsfehler stand das Kraftwerk am Rande eines so genannten »Super-GAU« (GAU = Größter anzunehmender Unfall, bei dem sämtliche Kühlsysteme im Reaktor versagen). RWE vertuschte diesen Unfall fast ein Jahr lang.
Atomkraftgegner aus der Region haben mehrere Schwachstellen im AKW Biblis ausgemacht. Dazu zählen insbesondere der unzureichende Schutz gegen Brände und Flugzeugabstürze sowie fehlende Erdbebensicherheit.
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